Indonesien: Was Anarchosyndikalismus ist und wie wir arbeiten

Offener Brief an die Medien und alle Arbeiter*innen auf der ganzen Welt

Als Antwort auf die Geschichten, die in letzter Zeit in Indonesien über den Anarchosyndikalismus verbreitet wurden, möchte das „Workers Solidarity Syndicate“ Folgendes klarstellen:

Eine anarchosyndikalistische Gruppe setzt sich für die Selbstbestimmung von Arbeiter*innen ein, durch ein unabhängiges System der Selbstverwaltung mit dem Ziel des Wohlergehens der Arbeiter*innen ohne Unterdrückung.
Das Vorgehen von Politiker*innen, Staat und Polizei, die versuchen uns mit einem Diskurs der Dämonisierung und Kriminalisierung des Anarchosyndikalismus einzuschüchtern, ist eine psychologische Kriegsführung, die wir entschieden ablehnen. Das ist besonders darauf bezogen, dass es – entgegen der Unterstellungen durch die Polizei – in keinem einzigen Fall zu Plünderungen gekommen ist.

Erster Mai: Demo in Surabaya

Genau genommen haben solche Plünderungen, welche sie in der Schmähkampagne der Herrschenden angeprangert werden, ein negatives Potenzial, das im Widerspruch zu unseren Grundsätzen als Arbeiter*klasse steht. Aus Sicht der Arbeiter*klasse sind keine Zerstörungen nötig, um einen grundlegenden Wandel hervorzubringen. Wir konzentrieren uns daher auf die Verbesserung des Wohlergehens unserer Klasse, indem wir eine deutliche und ausgleichende Verhandlungsposition gegenüber den Kapitaleigentümer*innen und Herrschenden stärken.

Zur Zeit nehmen beteiligen wir uns an Solidaritätsaktionen von Arbeiter*innen zu unterschiedlichen Themen, wie Verkürzung der Arbeitszeit, angemessene Entlohnung, bessere Arbeitsbedingungen und Arbeitssicherheit. Wir sind außerdem aktiv gegen alle Formen von Unterdrückung der Arbeiter*klasse durch das Kapital, wie Kriminalisierung von Streiks, Zwang zur Produktionssteigerung, Überstunden, Lohnkürzung, willkürliche Kündigungen und Unterdrückung der Gewerkschaftsfreiheit. Stattdessen setzen wir uns ein für die Arbeiter*selbstverwaltung auf der Grundlage von gegenseitiger Hilfe und Gleichberechtigung.

Anarchosyndikalismus bedeutet nicht-hierarchische Organisationen, in denen wir jede Form von Ausbeutung abschaffen, wie es sie in autoritären Gewerkschaften gibt: Entscheidungen durch Gewerkschaftseliten, Zentralkommando oder Einbehalten von Abfindungszahlungen zur Deckung von „Beratungskosten“.

„Solidarität statt Wohltätigkeit“ ist einer unserer Leitsätze, den wir in unsrem Alltag als Arbeiter*klasse anwenden. Unsere Tätigkeit gründet auf Solidarität innerhalb der Arbeiter*klasse, anstatt auf Wohltätigkeit aus Mitleid. Das Wohlergehen und die Unabhängigkeit der Arbeiter*innen kann nur geschaffen werden von und durch die Arbeiter*innen selbst, nicht aber durch Gewährung von anderer Seite, vor allem der Herrschenden und des Kapitals.

Wir möchten Arbeiter*innen in die Lage versetzen sich selbst zu bilden, damit wir lernen gemeinsam zu produzieren und die Verteilung zu organisieren, um uns darauf vorzubereiten, die Produktionsstätten durch unabhängige Arbeiter*selbstverwaltung zu betreiben. Außerdem sind wir eingebunden in soziale Kämpfe und beteiligen uns an der Erhaltung einer ökologischen und gesunden Umwelt für alle.

Anarchosyndikalistische Individuen und Gruppen sind ein Ausdruck zivilen Lebens durch Ausübung der staatsbürgerlichen und politischen Rechte auf Vereinigungs-, Versammlungs- und Meinungsfreiheit. Diese Rechte sind durch mindestens zwei internationale Menschenrechtsabkommen garantiert, wie die „Allgemeine Erklärung der Menschenrechte“ (UDHR) und der „Internationale Pakt über bürgerliche und politische Rechte“ (ICCPR) [1]
[…]
Genauer regelt dieses Recht auf Vereinigungsfreiheit von Arbeiter*innen eine Konvention der ILO [Internationale Arbeitsorganisation der Vereinten Nationen] im „Übereinkommen 87 über die Vereinigungsfreiheit und den Schutz des Vereinigungsrechtes, 1948“ in Art. 2:
„Die Arbeitnehmer und die Arbeitgeber ohne jeden Unterschied haben das Recht, ohne vorherige Genehmigung Organisationen nach eigener Wahl zu bilden und solchen Organisationen beizutreten, wobei lediglich die Bedingung gilt, daß sie deren Satzungen einhalten.“

Die Organisierung von Arbeiter*innen ist ein wichtiger Bestandteil der Arbeiter*rechte. Die ungleichen Verhandlungspositionen zwischen Arbeiter*innen und Arbeitgeber*innen ermächtigen uns zur Selbstorganisation und zur Stärkung unserer Verhandlungsposition gegenüber den Unternehmer*innen.

Diese Dinge sind auch geregelt in der ILO-Konvention „Übereinkommen 98 über die Anwendung der Grundsätze des Vereinigungsrechtes und des Rechtes zu Kollektivverhandlungen, 1949“, welche in Art. 2, Abs. 1. besagt:
„Den Organisationen der Arbeitnehmer und der Arbeitgeber ist in bezug auf ihre Bildung, Tätigkeit und Verwaltung gebührender Schutz gegen jede Einmischung von der anderen Seite, sowohl seitens der Organisationen wie auch ihrer Vertreter oder Mitglieder, zu gewähren.“ [2]
Diese beiden ILO-Konventionen bestätigen das Recht von Arbeiter*innen auf Vereinigung bzw. Organisierung.

Das Vorgehen der indonesischen Strafverfolgungsbehörden gegenüber der anarchosyndikalistischen Gruppe verstößt also gegen mindestens vier internationale Menschenrechtsvereinbarungen. Es ist zudem ein Verfassungsbruch, der auch gegen vier Landesgesetze verstößt. Die Regierung hat mittels ihrer Polizei diese Vereinbarungen gebrochen und damit der Öffentlichkeit gezeigt, wie unglaubwürdig sie ist.

Workers Solidarity Syndicate (01.05.2020)

Quelle:
https://iwa-ait.org/content/what-anarcho-syndicalism-and-how-we-work-open-letter-media-and-all-workers-all-over-world

Übersetzung: Anarcho-Syndikalistisches Netzwerk – ASN Köln

Anmerkungen:
1) Diese Rechte gelten auch entsprechend dem indonesischem Gesetz (Act No. 12/2005, Act No. No.39/1999, Presidential decree No. 83/1998).
2) Dieses Abkommen wurde ebenfalls von Indonesien ratifiziert (Presidential decree No. 83/1998, Act No. 18/1956).

Mehr Infos zu Indonesien:

„Repression gegen Anarcho-Syndikalist*innen“ (2019)
https://anarchosyndikalismus.blackblogs.org/2019/05/05/indonesien-repression-gegen-anarchosyndikalistinnen/

„Solidarität mit Uber-Fahrer*innen in Jakarta“ (2017)
https://anarchosyndikalismus.blackblogs.org/2017/09/06/iaa-solidaritaet-mit-uber-fahrerinnen-in-jakarta/

„Internationale Solidarität mit PPAS“ (2016)
https://anarchosyndikalismus.blackblogs.org/2016/12/05/internationale-solidaritaet-mit-ppas/

CreativeCommons: BY-NC
(ASN Köln, anarchosyndikalismus.blackblogs.org)