Klimaaktivismus auf dem Weg in den politischen Sumpf?

Das Wiener Arbeiter*innen-Syndikat (WAS-IAA) hat folgende Kritik veröffentlicht:

„Wir fahren gemeinsam“ ist eine neue Kampagne von AktivistInnen aus dem Klima-Milieu gemeinsam mit der reformistischen Gewerkschaft vida. Ein Genosse von uns war bei einer öffentlichen Veranstaltung der Kampagne und nicht besonders begeistert. Im Folgenden seine Kritik:

Eine solidarische Kritik zu Beginn eines fragwürdigen Unterfangens des österreichischen Klimaaktivismus

Wir fahren gemeinsam – so das stimmige Motto einer neuen Kampagne zwischen österreichischen Klimaaktivistis und der ÖGB-Öffi-Gewerkschaft vida. Nur mit guten Arbeitsbedingungen gibt es ein gutes Service für die Fahrgäste. Nur mit jungem Personal haben die Öffis eine Zukunft. Es liegt also im Sinne aller Beteiligten, gemeinsam zu kämpfen: für die ganz vorne im Bus und somit auch für alle, die erst bei der Haltstelle einsteigen.

So sehr die Klimaaktivistis mit der WKO in Sachen Autopolitik die richtige Gegnerin gewählt haben, so unklar ist es, wie sehr diesmal die WKO das richtige Ziel sein kann. Zwar freut man sich dem Vernehmen nach, dass die WKO durch die Initiative der Aktivistis floskelhaft die Sozialpartnerschaft bedroht sieht. Aber hier kurz erklärt, wieso die Machtverhältnisse im Öffi-Sektor ganz andere sind und weshalb eine Zusammenarbeit mit der vida nicht besonders aussichtsreich ist.

In der Autobranche herrscht der ganz normale Kapitalismus: Praktisch alle Unternehmen sind vom eigenen Erfolg am Markt abhängig und streben nach maximalem Profit. Zueinander stehen sie entweder in Konkurenz oder in Lieferbeziehungen, doch gemeinsames Anliegen ist, sich von der Gewerkschaft die Profite nicht kaputt machen zu lassen. Und natürlich erwartet man sich von der Politik Unterstützung, dass möglichst viele und teure Autos verkauft werden können. Dafür kann sie die Rahmenbedingungen setzen, in dem sie etwa immer breitere Straßen baut, statt großen Autos die Zulassung zu verweigern. Stichwort: Carpitalismus.

Die Öffi-Branche funktioniert da ganz anders. Im echten Kapitalismus würden nämlich alle richtig reichen Menschen so wie Herr Haselsteiner im Helikopter rumfliegen oder immer Auto fahren, weil es ja dann auch keine 1.Klasse im Zug mehr gibt. In Großstädten würden sich vielleicht ein paar teure und überfüllte Öffi-Linien zu Hauptverkehrszeiten ausgehen, aber sicher nicht in der Nacht oder am Sonntag. Und alle anderen ohne Auto können schauen, dass sie zu Fuß, mit einem Moped, Fahrrad oder ganz ungenügend fahrendem Sammel-Busverkehr vom Fleck kommen. Wer schon eine Weltreise gemacht hat, wird hierin eine Beschreibung der Situation in vielen Ländern der Welt wiedererkennen.

Auch wenn die EU in vielen Bereichen für den freien Markt und Kapitalismus steht, ist die Öffi-Branche eine Besonderheit: Der Staat darf einerseits „marktverzerrend“ als Kunde auftreten und mit Steuergeld Verkehrsdienste bestellen und er darf andererseits sogar als Unternehmer auftreten und eigene Verkehrsdienste betreiben (z.B. Wiener Linien und ÖBB), geregelt in VO 1370/2007. Es wäre nicht die EU, wenn sie innerhalb dessen nicht doch wieder ein Wettbewerbsregime verstecken würde, aber das ist hier nicht das Kernthema, es ging ja um gute Arbeitsplätze und die solidarische Unterstützung von Arbeitskämpfen durch Fahrgäste.

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Welche Öffi-Unternehmen gibt es jetzt in Österreich?

Es gibt einmal rein kommerzielle Unternehmen, sie funktionieren wie die Auto-Wirtschaft und haben praktisch keine staatliche Unterstützung (lassen wir mal den Bau von Straßen, Flughäfen und Corona-Hilfen beiseite). Dazu gehören die nicht-staatlichen Fluggesellschaften, private Busunternehmen, die für Flixbus fahren und das Taxigewerbe. Es gibt noch ein paar andere, aber die Auflistung ist schon fast abschließend, weil wie gesagt, der Kapitalismus von sich aus, kein tolles Öffi-Netz bieten würde.

Daneben gibt es Öffi-Unternehmen im staatlichen Eigentum, die in erster Linie von staatlichen Zuschüssen leben. Dazu gehören ÖBB, Wiener Linien, Postbus, Salzburger Lokalbahn usw.

Um an die staatlichen Zuschüsse zu kommen, müssen diese Unternehmen aber teilweise Ausschreibungen gegen private Unternehmen gewinnen. Zur Verwirrung gibt es inzwischen auch viele hybride Unternehmen, die zumindest teilweise dem Staat gehören, wobei das auch nicht immer der österreichische sein muss. Die Westbahn gehöhrt z.B. zu 17,4 % der französischen Staatsbahn, fährt teilweise auf eigene Rechnung, dann aber wieder mit staatlicher Unterstützung (z.B. Klimaticket und im VOR).

Rein private Öffi-Unternehmen, die genauso nur dank staatlicher Zuschüsse fahren sind z.B. oft kleinere Bus-Unternehmen die Schulbusse fahren. Das größte private Busunternehmen im Land ist Dr. Richard mit ca. 1.500 MitarbeiterInnen. Große globalagierende kapitalistische Öffi-Konzerne, die hinten rum nicht doch wieder einem Staat gehören, gibt es in Europa bisher schon in Form von Arriva und Transdev. Unseres Wissens nach sind solche Unternehmen im Landverkehr bis auf Flixbus noch nicht in Österreich aktiv.

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Festhalten lässt sich auf jeden Fall; praktisch alle Öffi-Unternehmen haben Interesse an Geld vom Staat, sind damit aber auch an hohe Auflagen bzgl. Sauberkeit, Pünktlichkeit usw. gebunden. Nach der EU-Verordnung sind sie sogar in ihrem Gewinnstreben teils auf ein „angemessenes Niveau“ begrenzt. Es gibt also Raum für etwas unternehmerisches Handeln. Der Staat wünscht sich private Unternehmen sogar als eine Art Agent, der laut herrschender Ideologie ja auch effizienter handeln kann als der Staat. Aber dafür gibt es auch klare Grenzen, vielmehr als das in vielen anderen Branchen der Fall ist. Nur eins ist sicher: Die Kapitalgeber für neue Busse und Bahnen bekommen ihre Rendite, egal, ob die ÖBB einen neuen Zug per Staatsschuld kauft oder das kleine Busunternehmen mit Hilfe der örtlichen Raika.

Nach etwas überlegen wird klar, dass die (privaten) Verkehrsunternehmen eigentlich bei weitem keine so mächtige Organisation sind, wie es einem vielleicht vorkommen mag, wenn man Probleme bei der Fahrscheinkontrolle hat. Zum einen müssen sie Schulden für ihre Fahrzeuge ans Kapital bedienen, zum anderen müssen sie schauen, ein möglichst billiges Angebot bei ihrem Auftraggeber – dem Staat – abzugeben. Viel Spielraum für Gehaltsverhandlungen gibt es da dann auch nicht mehr, zu dem die Löhne nach Kollektivvertrag geregelt sind und den größten Ausgabeposten stellen. Legt sich die Gewerkschaft und der Klimaaktivismus also mit der WKO als Vertretung dieser Unternehmen an, dann ist das indirekt ein Streit mit einem staatlichen Agenten mit eingeschränktem Gewinnstreben, während die KapitalgeberInnen (Banken, Fonds etc.) fein raus sind:  Sie brauchen nicht verhandeln, sie beteiligen sich eh nur, wenn sie am Ende mehr zurück bekommen.

Anders formuliert: Eigentlich kann es der WKO – abgesehen von ideologischen Gründen – auch vollkommen egal sein, ob die Löhne im Öffi-Sektor steigen oder nicht, sie muss das eh nicht zahlen. Naja, und die vida? Die würde höhere Löhne sicher toll finden! Es sieht also aus, als ob die Aktivistis hier richtig leicht ordentlich was rausschlagen könnten. Wie passt das zusammen mit den Rückmeldungen der Bus-Kollegen, die überhaupt keine Lust auf einen vida-Handzettel von den Klimaaktivistis hatten? Sind unsere ArbeitskollegInnen etwa nur dumme rechte ProletInnen? Sollten die Aktivistis vielleicht mehr Training machen, wie sie mit ArbeiterInnen zu sprechen haben? Warum haben die HacklerInnen nicht schon früher mehr rausgeschlagen?

Wer darauf eine Antwort haben will, muss sich eben noch mit der Politik beschäftigen. Die sitzt bei den Lohnverhandlungen zwar nicht am Tisch, würde aber sicher sofort ihren Einfluss geltend machen, wenn ihr was nicht passt. Und das womöglich sogar mehr auf Seiten der Gewerkschaft als bei der WKO! Denn: Wer zahlt die Öffis? Zuständig ist einmal das Klima-Ministerium: Gewessler (Grüne), dann der/die Verkehrslandesrätin, das wäre in Wien Sima (SPÖ), im Burgenland Dorner (SPÖ), in Niederösterreich Landbauer (FPÖ) und dann kommen noch ein paar Gelder von Gemeindeebene, aber das reicht ja jetzt bis hier um schon recht klar zu erkennen: Eine sozialdemokratische ÖGB-Gewerkschaft wird sicher nicht Herrn Dorners oder Frau Simas Öffis bestreiken! Um einem Mini-Streik von 2 Stunden aus dem Weg zu gehen, haben die ÖBB z.B. das letzte Mal von selbst die Züge stehen lassen: was für ein Theater! Ob Verkehrsministerium oder Verkehrslandesrat, niemand wird sich vor der kommenden Wahl eine große Auseinandersetzung wünschen. Die Politik will ja viel lieber Geld in Neubauten und Verbesserungen stecken, denn dafür gibt es Stimmen bei der Wahl, insbesondere von gebildeten, jungen, urbanen StäderInnen mit Klimaticket.

Es wäre also nötig, sich erst einmal über all die Verflechtungen Gedanken zu machen und dann eine sinnvolle Kampagne mit passendem Ansatz zu starten. Vielleicht könnten hier Erfahrungen von außerhalb des ÖGBs hilfreich sein. Es ist zu befürchten, dass die Klimaaktivistis das nicht getan haben und das lässt überhaupt nichts Gutes erwarten. Viel mehr droht, dass sich die „besonders vom Klimawandel betroffene“ ArbeiterInnenschaft schon bald ziemlich benutzt vorkommen wird. Wenn Klimaaktivistis, die teils noch nicht im Hamsterrad der Lohnarbeit gefangen sind, erst zum ÖGB pilgern, um dann passend zur vida-Kampagne Zettel zu verteilen, wo zufällig exakt das gleiche thematisiert wird, wie in der ORF-Nachrichten von der Gewerkschaft bereits verlautbart wurde. Wenn die Einladungen in whatsapp-Gruppen eh nur dort verteilt werden, wo es schon einen Betriebsrat gibt, dann ist es auch logisch, wenn bald Aktivistis im EU-Parlament usw. sitzen werden. Dieses Spiel ist hinreichend von der Sozialdemokratie bekannt und geht sich für ArbeiterInnen seit über 30 Jahren nicht mehr gewinnbringend aus. Dass die vida jetzt neuerdings in ihrer Kampagne Klimaaktivistis mitspielen lässt, muss nicht heißen, dass die Klimaaktivistis wichtig wären, sondern dass die vida als Organisation ihr Handwerk einfach nur überlegen beherrscht – auch in grün.

Quelle:
https://wiensyndikat.wordpress.com/2024/02/29/klimaaktivismus-am-weg-in-den-politischen-sumpf/
(CC: BY)