Irland: Gewerkschaftliche Organisierung in Derry

Die anarchosyndikalistische Initiative „Organise!“ berichtet in der 30. Ausgabe ihres Magazins für Nordirland (UK), „Black Star“, über die jüngsten Kampagnen von Gewerkschaften zu lokalen Arbeitskonflikten:

In den sozialen Medien geht es zur Zeit hochher, da viele Bewohner*innen von Derry sich haufenweise über das neueste Hotel in der Stadt auslassen. Das Ebrington Hotel ist ein Vier-Sterne-Schuppen in der ehemaligen britischen Kaserne an der Waterside. Manche haben sich aufgeregt darüber, dass das Management offensichtlich die lokale Bevölkerung aus dieser neuen Oase raushalten will. Aber die meisten beschweren sich darüber, wie die Arbeiter*innen dort behandelt werden.



Eine Menge Leute sind dort schon nach einigen Wochen wieder abgehauen und es scheint dort offenbar keine Gewerkschaft zu geben. Ob sich das ändern wird, könnte auch von den jüngsten Bemühungen abhängen, die Mitgliederzahlen von Organisierten in ehemals gewerkschaftsfeindlichen Betrieben zu erhöhen.

Diese Bemühungen folgten auf die Ankündigung von geplantem Stellenabbau bei zwei wichtigen Arbeitgeber*innen in der Stadt: dem Festplattenhersteller Seagate und First Source, ein noch bis kürzlich mit Sky vertraglich verbundenes Callcenter. Diese Unternehmen unterscheiden sich in vielerlei Hinsicht grundsätzlich, denn Seagate ist ein amerikanischer Laden, der 1993 nach Derry kam und auch eine Fabrik in Limavady hatte, die 2008 geschlossen wurde. Die Firma hat etwa 1.400 Leute eingestellt und die meisten Ortsansässigen würden dies als „guten Job“ bezeichnen. Daher war es seit den 1990er-Jahren extrem schwierig dort neue Gewerkschaftsmitglieder zu gewinnen und [Betriebsorganisationen] anerkennen zu lassen.

Der aktuelle Vorstoß von Unite und dem Derry Trades Council begann letztes Jahr und war der bisher erfolgreichste Versuch. Doch er hat noch nicht zu der magischen Anzahl (bzw. Anteil) von Arbeiter*innen geführt, die nötig ist, um das Unternehmen zu zwingen die Gewerkschaft legal anzuerkennen und Verhandlungen aufzunehmen. Und das obwohl bereits im Mai Lohnkürzungen und Entlassungen von über hundert Arbeiter*innen angekündigt wurden.

First Source hingegen ist ein Scheißjob-Callcenter im Besitz eines indischen Milliardärs, das den meisten Arbeiter*innen in Derry als letzte Wahl gilt. Die Firma ist seit Anfang der 2000er-Jahre in Derry und Belfast ansässig und hat ebenfalls im Mai Entlassungspläne verkündet. Rund 600 Arbeiter*innen sollen gefeuert werden, doch anscheinend gibt es Pläne, viele von ihnen wieder neu einzustellen.

Die Communication Workers‘ Union (CWU), sowie GMB und kürzlich auch Aegis haben Organisierungskampagnen bei First Source gestartet, doch keine [dieser Gewerkschaften] war dabei besonders erfolgreich. Das ist zwar in mehrfacher Hinsicht problematisch, doch auf jeden Fall ist es besser, wenn Arbeiter*innen in eine Gewerkschaft eintreten, auch wenn die Scheiße ist.

Dennoch es besteht keine oder kaum eine Chance, dass eine dieser Gewerkschaften, die in diesen Betrieben einen Durchbruch beabsichtigen, mehr anbieten können als geringsten Schutz und Vorteile. Oft schauen Arbeiter*innen sich die Gewerkschaften an und können kaum genügend Anregung und Ermutigung finden, um sich zur Mitgliedschaft überzeugen zu lassen.

Für die meisten Sozialist*innen ist das bloß ein Problem der „Führung“ oder eher der „richtigen“ Führerschaft. Doch für Anarchist*innen und besonders für Anarchosyndikalist*innen geht es um die gesamte Struktur und Denkweise der bestehenden Gewerkschaften.

Die Gewerkschaften werden auf die gewerkschaftsfeindlichen Gesetze verweisen, welche die [konservativ-neoliberale] Tory-Regierung in den 1980er-Jahren erlassen hat. Seit 40 Jahren haben sie noch nicht einmal versucht gegen diese zu verstoßen, in der falschen Hoffnung, eine [sozialdemokratisch-neoliberale] Labour-Regierung im Parlament von Westminster würde das für sie erledigen.

Hinzu kommt der pure Reformismus als Herzstück der angepassten Gewerkschaftsbewegung, bestehend aus einem Mangel als Phantasie und Demokratie, einem zentralisierten und bürokratischen Aufbau, sowie einer rein an Kompromissen orientierten Rolle als Sozialpartner*innen des Kapitalismus.

Nur eine direktdemokratische und durch die Einbeziehung der Massen geprägte Basisgewerkschaft unter der Leitung der Arbeiter*innen in den Betrieben hat die Fähigkeit, die lahme, schrittweise und konservative Strategie der reformistischen Gewerkschaften in Irland zu überwinden – ob im Norden oder im Süden

Quelle:
https://organiseanarchistsireland.com/wp-content/uploads/2023/08/BlackStar30.pdf


Übersetzung [und Anm.]: Anarchosyndikalistisches Netzwerk – ASN Köln (CC: BY-NC)