Chinesische Anarchosyndikalist*innen organisieren sich

Die Internationale Arbeiter*innen-Assoziation (IAA, http://iwa-ait.org) konnte Ende Juni auf ihrem Plenum im kolumbianischen Bogota neben Delegierten aus zahlreichen anderen Ländern auch die neu gegründete Initiative Chinesische Anarchosyndikalist*innen (ASC) als Beobachter*innen begrüßen.

Einige Wochen später trafen sich ASC-Mitglieder in der japanischen Stadt Osaka mit Anarchosyndikalist*innen der Örestad lokala samorganisation (OLS), einer Lokalföderation der IAA in Schweden, gemeinsam mit lokalen Anarchist*innen.

Bereits im Oktober 2024 hatte die IAA einen Bericht über die Arbeiter*innen-Bewegung in China veröffentlicht, der von ASC verfasst wurde. Dieser Bericht wurde bereits im März 2023 erstellt und liegt nun auch in einer englischen Fassung vor.

Dort beschreiben die Basisgewerkschafter*innen, dass die von oben verordnete Maßnahmen der chinesischen Regierung Schwierigkeiten habe, die systemischen Probleme zu lösen. Die auf kurzfristige Wirkung ausgerichtete Politik führe zu einer Unterversorgung der Bevölkerung, beispielsweise in der Sozialversicherung und im Gesundheitssystem. Seit einigen Jahren gibt es bei jungen Erwerbstätigen das Phänomen des „Flachliegens“ (Tang Ping), das untätige Entspannung bevorzugt, anstatt von 9 Uhr morgens bis 21 Uhr abends in einer Sechs-Tage-Woche bis zur Erschöpfung schuften zu müssen.

Außerdem berichten sie von Streiks und Sitzblockaden, die sich gegen miese Arbeitsbedingungen in der staatskapitalistischen Diktatur richten. Unter anderem werden Arbeitskämpfe geführt wegen ungezahlter Löhne von migrantischen Lohnabhängigen. Denn entgegen der offiziellen Propaganda, entsteht das chinesische Wirtschaftswachstum auf Kosten der unter prekären Bedingungen ausgebeuteten Arbeiter*innen. Die privatwirtschaftlichen Unternehmen verstoßen dabei regelmäßig gegen verfassungsgemäße Arbeitsrechte, die immer wieder neu erkämpft werden müssen.

Im Zuge eines veränderten Entwicklungsmodells wurde die ökonomische Zusammensetzung in China seit Jahrzehnten von einer exportorientierten Niedriglohn-Produktion in eine digitale Dienstleistungswirtschaft (mit Online-Shopping und Lieferdiensten) verwandelt. Die zunehmende Verstädterung und damit die Auflösung traditioneller Bindungen habe zu einem Anstieg der Arbeitskämpfe geführt – vor allem im Dienstleistungsbereich.

Gleichzeitig zur Auslagerung der Niedriglohn-Fabriken in andere südost-asiatische Staaten, wie Bangladesch, Indonesia, Kambodscha und Vietnam, kam es auch zu einer Verlagerung der Produktionsstätten von den Küstenregionen ins Binnenland. So hat beispielsweise der iPhone-Hersteller Foxconn sein Hauptwerk von Shenzhen nach Zhengzhou verlegt, das nun „Apple City“ genannt wird. Zahlreiche Zeitarbeiter*innen und ein illegales Maß an Überstunden stehen für die prekären Bedingungen der Arbeiter*innen.

Neue Arten der Organisierung von Arbeiter*innen und ihre neuen Widerstandsformen sind durch diese Veränderungen entstanden. Nicht mehr große Belegschaften von Fabrik- oder Minenarbeiter*innen mit dauerhaften Verträgen stehen im Zentrum der Wirtschaft. Die Massenstreiks in Produktionsbetrieben, bei denen die regionalen Politiker*innen von der autoritär-kommunistischen Parteiführung in Peking für das Entstehen von Arbeitskämpfen abgestraft werden, haben seit Jahren nachgelassen.

Durch die staatliche Repression gegen die zivilgesellschaftliche Arbeitsrechtsberatung haben sich die Organisierungsmethoden ins Internet verlagert. Dadurch ist es vielen Arbeiter*innen und ihren Unterstützer*innen in den letzten Jahren möglich geworden landesweite Proteste durchzuführen, obwohl es dabei auch zu zahlreichen Verhaftungen kam. Zugleich entstehen immer mehr unorganisierte Arbeitskämpfe mit spontanen und kurzfristigten Aktionen zu Einzelthemen.

Dabei setzen die Arbeiter*innen meist mehr Hoffnung auf die mediale Öffentlichkeit anstatt mit konkreten Forderungen in direkte Verhandlungen mit Unternehmen oder Behörden zu treten. Doch reine Online-Kampagnen bringen nur selten Erfolge, weshalb die chinesischen Anarchosyndikalist*innen der ASC weiter am Aufbau basisgewerkschaftlicher Strukturen arbeiten.

Kontakt:
https://anarchosyndchina.mystrikingly.com/
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