Folgender Text erschien Anfang März in der Zeitschrift der CNT-IAA Toulouse:
Die Forderung nach Wiederaufrüstung ist gerade sehr in Mode und wird von den Herrschenden für alles mögliche genutzt: Aufrüstung des Bildungswesens, Aufrüstung der Wirtschaft, demographische und moralische Aufrüstung usw. Man kann also sagen, dass wir in kriegerischen Zeiten leben. Denn wenn der Zeitpunkt kommt, muss jedes Rädchen ins nächste greifen – und darauf sollen wir geistig vorbereitet werden.
Machen wir uns bewusst, dass wir an einem besonderen Wendepunkt stehen: Noch nie war die Gesellschaft durch so viele tödliche Gefahren bedroht: Erderhitzung, Vernichtung der Artenvielfalt, Ausschöpfung der Ressourcen, Umweltbelastung durch Schadstoffe und die drohende Gefahr eines Großkonfliktes. Die Zukunft ist jedoch zumindest ungewiss.
Doch nur die Rüstungsindustrie hat Grund zu feiern! Aber wenn man unserer Regierung Glauben schenkt, gibt es keinen Grund zur Sorge. Es ist eine altbekannte Reaktion, dass ein bevorstehender Zusammenbruch die Führungskräfte eines Unternehmens oder eines Staates dazu veranlasst, immer riskantere und schwierigere Projekte zu starten. Sie hoffen auf ein Wunder, versuchen alles Mögliche und machen es in der Regel nur noch schlimmer – wobei sie die vorhergesagte Katastrophe weiter beschleunigen.
Natürlich haben die Regierungen seit vielen Jahren ihre Maßnahmen auf den Weg gebracht, um diesen Teufelskreis zu überwinden. Doch deren Wirksamkeit ist – gelinde gesagt – zweifelhaft. Die globale Erwärmung beschleunigt sich, die Artenvielfalt stirbt weiter ab, die Vergiftung von Wasser, Boden und Luft nimmt weiter zu. Und es werden bestimmt nicht die letzten Maßnahmen der französischen Regierung gewesen sein, die diesen Trend umkehren sollen. Und um dem Risiko eines drohenden Krieges zu begegnen, haben alle Staaten in massive Aufrüstungsprogramme investiert.
Das Spiel, das die führenden Großmächte gerade spielen, ähnelt immer mehr diesem Szenario. Die „Herren der Welt“ sind bereit alles zu tun, um ihre Privilegien und Machtsymbole zu bewahren. Sie kümmern sich nicht um das Schicksal der Menschen, solange ihr Status als Herrschende nicht erschüttert wird.
Dass die kapitalistische Wirtschaft weiter funktioniert; dass die Gewinne der multinationalen Konzerne so hoch sind, wie noch nie; dass sich die Börse auf einem Allzeithoch befindet – das alles ist letztlich nur schöner Schein.
Denn dieses herrlich grenzenlose System besteht aus einem Streben nach Reichtum und Macht. Es macht Glück und Freiheit zu einer Frage des Wohlstands – von Einzelpersonen oder von Staaten. Denn je mehr Reichtum wir anhäufen, desto mehr macht uns diese Ansammlung angeblich frei und glücklich. Aber dieses System wird durch seine eigenen Widersprüche untergraben: Denn ein endloses Wachstum in einer endlichen Welt ist undenkbar.
Das Gesetz des Kapitalismus macht jedes Individuum zur Konkurrenz aller anderen. Die Werte der Solidarität und der gegenseitigen Hilfe werden geleugnet; die Gesellschaft wird in gegensätzliche Klassen gespalten: Die Klasse der Ausgebeuteten gegen die Klasse der Ausbeuter*innen. Die Nationalstaaten befinden sich ständig in einem wirtschaftlichen und/oder militärischen Krieg gegeneinander. Und schließlich – und das Problem ist nicht zu unterschätzen – führen die menschlichen Gesellschaften aufgrund ihrer Marktgläubigkeit seit Jahrhunderten einen gnadenlosen Krieg gegen die Natur.
Seit Jahrhunderten haben zahlreiche Denker*innen die verheerenden Folgen dieses Systems angeprangert und gezeigt, dass es von Grund auf ungerecht, ungleich und mörderisch ist. Der Zusammenbruch der großen natürlichen Ökosysteme, welche die Grundlage des Lebens auf der Erde bilden, ist heute Beweis genug, dass uns die marktförmigen Entscheidungen unweigerlich in eine Sackgasse führen. Kurz gesagt: Dieses System ist absolut selbstmörderisch.
Dass dieses Systems samt seiner Regeln abgeschafft werden muss, haben alle revolutionären Denker*innen des 19. Jahrhunderts befürwortet. Heute ist dies zur absoluten Notwendigkeit geworden. Doch selbst wenn diese Forderung heute von allen aufrichtig denkenden Menschen weitgehend geteilt wird, so stellt sich die weitaus schwierigere Frage, wie eine zukünftige Gesellschaft organisiert und auf welcher Grundlage sie aufgebaut werden soll.
Tatsächlich ist die Menschheit jedoch bereits seit Beginn der Steinzeit und dem Aufkommen der ersten Staaten mit dieser Fragestellung konfrontiert. Seit die menschlichen Gemeinschaften beschlossen haben, bestimmten Personengruppen, wie Priester*innen, König*innen, Diktator*innen, Aristokrat*innen oder einfachen Vertreter*innen, die Macht zu übergeben. Indem diese entscheiden, was das Beste für die Gemeinschaft ist und um ihre Gesetze durchzusetzen, haben die menschlichen Gemeinschaften dabei die Kontrolle über ihr Schicksal verloren.
Diese neue herrschende Klasse hat die Macht zu ihrem Vorteil an sich gerissen und systematisch ihre eigenen Bedürfnisse durch die Anhäufung von Reichtum befriedigt. Auch, um das Streben nach Eroberung und Herrschaft zu befriedigen – den Willen nach Macht und egositischem Genuss – hat sie dabei die Interessen der Gemeinschaft geopfert. Die Katastrophen, die sich heute abzeichnen, sind letztlich nur die Folge dieser ganzen Vernachlässigung.
Deshalb steht heute die gesamte Menschheit vor der Wahl:
• Entweder genauso weiterzumachen, und immer wieder auf die schönen Worte der Herrschenden zu vertrauen. Welche dann unter dem Vorwand militärischer oder ökologischer Zwänge mit Gewalt und Terror nach sozialer Kontrolle rufen, die Freiheit einschränken und den Lebensstandard senken – zumindest für die arbeitenden Klassen. Genau dies ist der Weg, den die derzeitige französische Regierung bereits eingeschlagen hat.
• Oder einen radikalen Bruch mit der heutigen Realität herbeizuführen und sich auf den Aufbau einer völlig neuen Welt einzulassen. Welche es sich zur Hauptaufgabe macht, den Warenfetisch, die Macht und die Gewalt zu überwinden, um jedem Individuum die Möglichkeit zur Selbstverwirklichung zu garantieren. In einer solchen Gesellschaft wird die Lebensqualität nicht mehr an der Menge des angehäuften Eigentums gemessen werden, sondern an der Qualität des Aufbaus von sozialen Beziehungen.
Quelle:
Anarchosyndicalisme!, Nr. 185, Januar/Februar 2024, CNT-IAA Toulouse,
https://cntaittoulouse.lautre.net/spip.php?article1378
Übersetzung: ASN Köln
(Creative Commons: BY-NC)