Schluss mit der Sozialpartnerschaft zwischen Arbeit und Kapital!
Aktuell gibt es eine Reihe von Streiks und Protesten zu erleben, die durchaus bemerkenswert sind. Nicht, weil sie besonders radikal oder militant mit selbstorganisierten direkten Aktionen geführt werden. Sondern weil ihn ihnen deutlich wird, dass das Co-Management der sozialdemokratischen Gewerkschaftsbürokratie an gewisse Grenzen gestoßen ist. Denn der industriefreundliche Kurs der Sozialpartner*innen lässt ihre friedliche Zusammenarbeit mit den Arbeitgeber*innen und deren staatliche Schutzmacht in eine Sackgasse laufen. Trotz Massenmobilisierung schwindet ihr Einfluss.
Beispielsweise hatten sich zuletzt beim Arbeitskampf für einen neuen Tarifvertrag im Öffentlichen Dienst (TVöD) etwa eine halbe Million Lohnabhängige an Streikaktionen beteiligt. Die reformistische Dienstleistungsgewerkschaft ver.di konnte die Mobilisierung zwar als Erfolg feiern und freut sich über zehntausende Neumitglieder. Aber trotz einer Ausrichtung an gewerkschaftliche Organisierung bleibt die Entscheidungsmacht weiterhin bei den gewählten Stellvertreter*innen, den prominenten Vorsitzenden und der Bundestarifkommission. Deren Basis wird nur der Form halber befragt. So wurde dieser Arbeitskampf im Mai 2023 vorzeitig für beendet erklärt und der Kompromiss mit den staatlichen Arbeitgeber*innen angenommen, obwohl sich nur knapp 66% der befragten Gewerkschaftsmitglieder dafür ausgesprochen hatten. Ein breit getragener Konsens sieht anders aus…
Die Mitgliederbasis in den Betrieben musste in Folge solcher faulen Kompromisse sogar Reallohnverluste hinnehmen. Denn die spektakulär klingenden Ergebnisse von bis zu 12% Lohnsteigerung wurden vom Preisanstieg durch die anhaltende Inflation bereits aufgezehrt. Gleichzeitig verpflichten sich die sozialpartnerschaftlichen Gewerkschaften während der Laufzeit des Tarifvertrages bis Ende 2024 auf weitere Arbeitskämpfe zu verzichten, um den heiligen Betriebsablauf nicht zu stören.
Solche Burgfriedenspolitik verfolgt die sozialdemokratische Arbeiter*bewegung seit ihrem Klassenkompromiss im Ersten Weltkrieg, als ihnen die Einheit der Nation im Kaiserreich wichtiger war als der internationalistische Generalstreik für Frieden, Freiheit und soziale Gerechtigkeit. Nach dem Korporatismus der „Volksgemeinschaft“ im Nationalsozialismus folgten in Westdeutschland die „konzertierte Aktion“ und das neoliberale „Bündnis für Arbeit“ in der Tradition des Klassenkompromisses.
Doch heute scheint dem rot-gelb-grünen Kriegskabinett die milliardenschwere Unterstützung der NATO und ihres Bündnispartners Ukraine im imperialen Wettstreit wichtiger zu sein als der Erhalt eines jahrzehntelang mit Duldung der Gewerkschaften neoliberal zusammengekürzten Sozialstaats. Vom dringend nötigen Ausbau der öffentlichen Daseinsvorsorge in Zeiten von Klimakatastrophe und Energiekrise ganz zu schweigen.
Aktuell haben sich aus Mangel an Fördergeldern aufgrund solcher massiven Einsparungen daher einige regionale Großkonzerne im Wohlfahrtsbereich unter dem Motto „NRW bleib(t) sozial“ zusammengeschlossen, um auf staatliche Geldgeber*innen vermehrt Druck auszuüben. So haben die Träger*verbände der freien Wohlfahrtspflege (Caritas, Diakonie, Rotes Kreuz, Paritätischer und jüdische Gemeinden) in einer außergewöhnlichen Deutlichkeit Ende November 2023 an zwei Aktionstagen durch Schließung ihrer sozialen Einrichtungen diese staatlich finanzierten Einrichtungen „bestreikt“.
Die Wohlfahrtsverbände als größte Arbeitgeber*innen in der Branche beklagen ein leises Sterben der sozialen Infrastruktur durch harte Einsparungen. Das wirke sich durch kürzere Öffnungszeiten und drohende Firmen-Insolvenzen aus. Diese tageweise Schließung der Angebote sei daher nur ein symbolhafter Vorgeschmack auf die ohnehin durch finanzielle Kürzungen bevorstehenden Unternehmenspleiten.
Das Bündnis „LIGA Wohlfahrt Köln“ hat daher im gesamten Stadtgebiet dezentrale Protestaktionen und eine Demonstration organisiert, an denen sich auch die Mitarbeiter*innen, Klient*innen und betroffene Angehörige beteiligen. Mit Ausnahme von Pflegeheimen und Krankenhäusern wurden rund 100 Angebote der sozialen Einrichtungen (z.B. Kitas, Ganztagsbetreuung, Jugendbüros, Beratungsstellen und Integrationsdienste) seitens der Arbeitgeber*innen vorübergehend geschlossen, um eine höhere Unterstützung bei gestiegenen Kosten durch städtische Gelder durchzusetzen.
Dabei stellt sich natürlich die Frage, warum die ausgesperrten Belegschaften sich überhaupt für die Interessen ihrer Chefs einsetzen sollten. Ist es doch ein falsches Versprechen der Unternehmensleitung, ihr Personal würde von der besseren Finanzierung durch den Sozialstaat letztlich auch profitieren – sei es durch höhere Löhne, bessere Ausstattung oder mehr Fachkraftstellen.
Andererseits rief beispielsweise die DGB-Gewerkschaft GEW, am 28.11. zu einem bundesweiten Streiktag im Bildungsbereich auf. Im Zuge des Streits um den Tarifvertrag der Länder (TV-L) fordert die reformistische Bildungsgewerkschaft 10,5% Lohnerhöhung für die rund 2,5 Millionen Mitarbeiter*innen der Länder, sowie einen studentischen Tarif. Dies betrifft nicht nur die angestellten Lehrer*innen, sondern auch (sozial-)pädagogische Fachkräfte. Die leiden sowohl unter inflationsbedingten Kaufkraftverlusten bei steigenden Preisen, wie unter Personalmangel und Leistungsdruck. An einem Hochschulaktionstag von GEW und ver.di beteiligten sich am 20.11. nicht nur organisierte Mitglieder, sondern auch zahlreiche Studierende, denen BAFöG-Kürzungen, hohe Mieten und prekäre Arbeitsverhältnisse (auch außerhalb der Universitäten) das Leben schwer machen. Anfang Dezember sollen die Tarifverhandlungen mit den Länder-Arbeitgeber*innen weitergehen, aber ob es in der Weihnachtszeit weitere Streikaktionen geben wird, ist noch unklar…
Unter dem Motto „Zusammen geht mehr“ haben ebenfalls Ende November mehrere ver.di-Warnstreiks an mehreren Universitätskliniken für etwas Druck auf der Straße gesorgt. Doch die Tarifgemeinschaft deutscher Länder (TdL) bietet seitens der staatlichen Arbeitgeber*innen nicht mehr als einen Inflationsausgleich an, aber keine wesentliche Lohnerhöhung. Denn die gestiegene Arbeitsbelastung durch Personalmangel – noch während der Covid-19-Pandemie dramatisch bewusst geworden und folgenlos beklatscht – scheint heute längst vergessen. Schließlich werden als weiblich* wahrgenommene Pflege- und Fürsorgearbeiten im patriarchalen Kapitalismus „natürlich“ systematisch abgewertet, unterbezahlt und vernachlässigt.
Die reformorientierten Gewerkschafter*innen, denen der Erhalt dieser ausbeuterischen Lohnarbeit am Herzen liegt und deren Mitglieder von gestiegenen Staatsausgaben profitieren, fordern hingegen eine höhere Verschuldung der öffentlichen Hand. Anstatt eine grundlegende Umverteilung des gesellschaftlichen Reichtums von Oben nach Unten zu propagieren, setzen sie auf eine bevorzugte Behandlung durch Vater Staat. Dass die Schulden der öffentlichen Haushalte auch eine Belastung kommender Generationen lohnabhängiger Steuerzahler*innen bedeutet, schert die freigestellten Gewerkschaftssekretär*innen jedoch kaum. Zwar rufen ein paar Linke nach einer Reichensteuer zur Finanzierung eines Grundeinkommens, aber das ungerechte System kapitalistischer Ausbeutung und staatlicher Herrschaft wird selten in Frage gestellt.
Wer sich als angepasste*r Vertreter*in der Interessen von Millionen Lohnabhängigen mehr mit den Befindlichkeiten von Arbeitgeber*innen (siehe Industriestrompreis) beschäftigt als mit klassenbewusstem Widerstand, läuft schnell Gefahr, zu einem ebenso großmäuligen, wie zahnlosen Papiertiger zu werden. Die Geschichte der Arbeiter*bewegung ist voller Beispiele von erfolgreichen Versuchen, kämpferische Bewegungen friedlich einzubinden und mundtot zu machen oder durch staatliche Repression brutal zu zerschlagen. Vergessen wir nicht, dass trotz des sozialdemokratischen „Burgfriedens“ der Massenmord des Ersten Weltkriegs schließlich 1918 nur durch eine antimilitaristische Revolution beendet wurde.
Dabei dürfen wir ebenso wenig vergessen, dass 1919/‘20 die deutschen Räterepubliken und die Rote Ruhrarmee durch den blutigen Terror der reaktionären Repression im Auftrag der Sozialdemokratie erstickt wurden. Ähnlich wie die sozialrevolutionäre und anarcho-syndikalistische Gewerkschaftsbewegung in der russischen Revolution. Diese Unterdrückung der selbstorganisierten Arbeiter*innen durch die Truppen von Lenin und Trotzki hat auch in der Ukraine zahlreiche Revolutionär*innen das Leben gekostet, wie 1922 bei der Zerschlagung der anarcho-kommunistischen Befreiungsbewegung um Nestor Machno.
Unverzeihlich bleibt auch Stalins Unterdrückung der sozialen Revolution während des Spanischen Bürger*krieges, als ab 1937 mit sowjetischer Hilfe die Anarchosyndikalist*innen der CNT-IAA überwältigt und damit der faschistischen Franco-Diktatur der Weg zum Sieg bereitet wurde. Nicht erst seit dem „roten Terror“ in Russland und Stalins Nichtangriffspakt mit dem Nationalsozialismus 1939 sind daher marxistisch-leninistische Autoritäre keine Bündnispartner*innen. Ebenso wenig wie die kapitalfreundliche Sozialdemokratie und ihre Gewerkschaften, welche sich dem marktwirtschaftlichen System anbiedern. Was uns bleibt, ist der selbstbestimmte Kampf um Freiheit, Gleichberechtigung und soziale Gerechtigkeit. Für eine solidarische Welt ohne Ausbeutung und Unterdrückung – jenseits reformistischer Sozialpartnerschaft!
Georgo Akratis
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