Öko-Syndikalismus statt Green New Deal

Der kapitalistische Fortschritt ist die zentrale Ursache der aktuellen Klimakrise, welche die Menschheit aufgrund der globalen Erwärmung zu bewältigen hat. Und bei dieser globalen Erwärmung handelt es sich um einen schnellen und dauernden Anstieg der weltweiten Temperatur von Erdoberfläche und Ozeanen. Bisher gab es seit [Beginn der systematischen Messungen im Jahr] 1880 eine Temperatursteigerung von 0,8 Grad Celsius.

Laut einer aktuellen Untersuchung von Wissenschaftler*innen am Goddard-Instituts der US-Raumfahrtbehörde NASA haben zwei Drittel dieser Erwärmung in der Zeit nach 1975 stattgefunden. Ein Temperaturanstieg von einem Grad scheint nicht viel zu sein, aber die Forscher*innen der NASA heben hervor: „Es bedarf einer riesigen Hitzemenge, um alle Ozeane, die Atmosphäre und die Erde zu erwärmen.“

Kapitalismus stinkt


Es ist bekannt, dass die Freisetzung von Kohlendioxid bei der Verbrennung fossiler Brennstoffe [wie Braun- und Steinkohle, Erdöl, Erdgas oder Torf], das zentrale Problem darstellt. Viele Jahrhunderte lang bewegte sich der Anteil von Kohlendioxid in der Atmosphäre zwischen 200 und 300 ppm [Millionstel]. In den 1950er Jahren ließ das Wachstum des Industriekapitalismus diese Anteile auf einen Spitzenwert von 310 ppm ansteigen. Seitdem ist die Konzentration von Kohlendioxid [CO2] in der Atmosphäre rasend schnell angewachsen auf über 410 ppm im Jahr 2018. Das ist die Folge eines starken Anstiegs der Verbrennung fossiler Brennstoffe in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg [seit 1945].

Das Problem liegt dabei in der eigentlichen Struktur des Kapitalismus, dessen wesentliches Merkmal die Auslagerung von Folgekosten aus der Warenproduktion ist. So verbrennt ein Stromunternehmen Kohle zur Erzeugung von Elektrizität, denn der Preis für eine Kilowattstunde aus Kohleverstromung war lange Zeit lang billiger als die Alternativen. Doch die Abgase aus der Kohleverbrennung werden vom Wind verbreitet und verursachen bei tausenden Menschen Atemwegsschäden, also auch vermeidbare Todesursachen bei Leuten mit Atemwegserkrankungen.

Hinzu kommt der massenhafte Einfluss auf die globale Erwärmung durch den Ausstoß (Emission) von Kohlendioxid. Doch das Stromunternehmen muss für die menschlichen Folgekosten nicht aufkommen. Wenn die Firma eine Strafe zahlen müsste, welche die menschlichen Kosten für Tod, Lungenzerstörung und Klimaerwärmung samt deren Folgen beinhalten würde, wäre die Kohleverbrennung für das Stromunternehmen nicht länger ertragreich.

Außerdem verlagert die Firma ihre Kosten auf die Arbeiter*innen, zum Beispiel durch Gesundheitsrisiken , wie Stress und chemische Belastung. Die knallharten Vertreter*innen eines „freien Marktes“ würden zwar leugnen, dass Unternehmen ihre Kosten auf die Arbeiter*innen abwälzen, denn ihrer Ansicht nach werden diese für jede Arbeitsstunde entsprechend mit Löhnen und Zuschlägen bezahlt. Doch die menschlichen Kosten der Arbeit können auch erhöht werden, ohne dass die Entschädigung für Arbeiter*innen angehoben werden: Indem eine Firma die Arbeitsleistung steigert; wenn die Leute härter arbeiten; wenn sie noch genauer von Vorgesetzten kontrolliert oder von Maschinen bzw. Software getrieben werden, dann lässt das die menschlichen Folgekosten ansteigen.

Giftige Chemikalien in Verarbeitung, Landwirtschaft oder anderen Industriezweigen stellen eine Gefahr sowohl für die Arbeiter*innen dar, wie auch für die Leute, die in der Nähe leben. Oftmals wohnen Leute aus der Arbeiter*klasse in der Nachbarschaft von umweltverschmutzenden Industriebetrieben – meist sind diese Stadtteile auch bewohnt von [rassistisch diskriminierten, nicht-weißen] „People of Color“. Dabei handelt es sich ebenfalls um eine Form der kapitalistischen Kostenauslagerung.

Auch bei der staatlichen Regelung von Schädlingsbekämpfungsmitteln oder Luftverschmutzung handelt es sich oft nur um die Verschleierung vonr Gewinninteressen der Unternehmen. So haben trotz der Umweltverschmutzung durch undichte Ölraffinerien oder den Schadstoffausstoß anderer Industriegebiete […] die dafür zuständigen staatlichen Behörden den Kampf gegen Luftverschmutzung fast ausschließlich auf den Bereich der Fahrzeugabgase konzentriert. Auf diese Weise versagen [die Regulierungsbehörden] in ihrem öffentlichen Auftrag, da sie von einer Lobby der kapitalistischen Unternehmen durch Bestechung vereinnahmt werden [regulatory capture].

Energiebetriebe, die riesige Mengen Kohlendioxid ausstoßen, sowie Firmen, die Gewinn machen mit der Herstellung von fossil betriebenen Autos und Lastwagen bzw. dem Verkauf von Benzin, Diesel und Kerosin, mussten bisher noch keine Gebühren oder Strafen wegen der zunehmenden Menge von Kohlendioxid in der Atmosphäre bezahlen. Die globale Erwärmungskrise kann daher erklärt werden durch diese Kostenabwälzung und die Ausrichtung auf kurzfristige Gewinne in wachsenden Märkten, die zentrale Bestandteile des kapitalistischen Systems sind.

Wenn der globale Kapitalismus seine Geschäfte wie bisher weiterführt, wird die Erwärmung große Auswirkungen haben: mörderische Hitzewellen, mehr Wirbelstürme durch die Energie aufgeheizter Ozeane, Zerstörung von Korallenriffen, steigender Meeresspiegel durch schmelzendes Eis in den Polargebieten und auftauende Gletscher, sowie die wachsende Gefahr des Aussterbens zahlreicher Lebensformen.

Die bisherigen Versuche eine weltweite Übereinkunft zur Verminderung fossiler Brennstoffe abzuschließen waren nicht erfolgreich. Das Pariser Abkommen schlägt nur freiwillige Ziele vor. Der NASA-Wissenschaftler James Hansen hat es sogar als „Schwindel“ bezeichnet: „Es gibt keine Aktionen, nur Versprechen.“

Nach Angaben des Zwischenstaatlichen Ausschusses für Klimaänderungen der Vereinten Nationen [„Weltklimarat“ IPCC] drängt die missliche Lage auf „schnelle und weitreichende Veränderungen (…) in bisher nicht dagewesenem Ausmaß.“ Der IPCC warnt davor, daß die Produktion hitzestauender Gase (vor allem Kohlendioxid) bis 2030 weltweit um 45% verringert werden muss, wenn die Menschheit einen gefährlichen Anstieg der Erderwärmung verhindern will.

Offensichtlich ist ein globaler Wandel nötig, aber woher soll der kommen?

Von Aktivist*innen der US-amerikanischen Green Party [1], Klimagerechtigkeitsgruppen und verschiedenen Radikalen wurde schon mehrfach die Idee eines „Green New Deal“ vorgebracht. Das Motto bezieht sich auf den „New Deal“, einen staatlichen Wirtschaftsplan, mit dem Präsident Roosevelt auf die ökonomische Krise der 1930er Jahr reagierte. Das Ziel [dieser wachstumsorientierten Eingriffe durch die Neuordnung von Markt und Sozialstaat] war eine schnelle Umstellung auf die Rüstungsproduktion zu Beginn des Zweiten Weltkriegs. Heute soll nun die globale Erwärmungskrise mit gleicher Dringlichkeit behandelt werden, wie die Massenarbeitslosigkeit von 1933 [in der „Großen Depression“] oder wie die militärische Bedrohung durch den Faschismus zu Beginn der 1940er Jahre.

Die Idee des Green New Deal wurde […] in den US-amerikanischen Kongress von Alexandria Ocasio-Cortez [und anderen sozialistischen Demokrat*innen im Februar 2019] als Beschlussvorlage eingebracht. Dort wurde eine Reihe hochgesteckter Ziele aufgestellt, wie eine Stromgewinnung in den USA zu 100% aus „sauberen, erneuerbaren und emissionsfreien Enegiequellen“.

Andere Ziele beinhalteten „die Verschmutzung und den Ausstoß von Treibhausgasen in der Produktion zu unterbinden, soweit das technisch machbar ist“ und eine „klimafreundliche Überarbeitung“ des Transportsektors durch „Investitionen in emissionsfreie Fahrzeuge, Zugang zum Öffentlichen Nahverkehr und Hochgeschwindigkeitszüge“.

Zusammen mit dieser Resolution wurde von 626 Umweltschutzgruppen ein Brief an den Kongress verfasst, der den Vorschlag eines Green New Deal unterstützte. Die Gruppen machten dabei recht deutlich, daß sie jede Art von marktförmigem Flickwerk, wie den „Cap and-Trade“ genannten Handel mit [begrenzten] Emissionsrechten, als nutzlose Reformen ablehnen. Mehrfach wurden auch „Öffentlich-private Partnerschaften“ (public-private partnerships) und die staatliche Förderung von Privatunternehmen gefordert.

[Der linke US-Ökonom] Robert Pollin schrieb in der Zeitschrift „New Left Review“ über die Forderung nach „bevorzugter Steuerbehandlung für Investitionen in saubere Energien“ und „Marktregelung durch staatliche Lieferverträge“ als Teil einer sogenannten „grünen Industriepolitik“ – mit anderen Worten: ein grüner Kapitalismus.

Doch auf Seiten der Arbeiter*innen gibt es oft Bedenken gegen solche Vorschläge. Die Unternehmen schmeißen die Leute einfach raus, zahlen niedrige Löhne oder zwingen sie zu schnellerem und gefährlicherem Arbeiten, falls es ihren Profitinteressen dient. So kam es beispielsweise beim Elektroauto-Hersteller „Tesla“, der 5 Milliarden Dollar staatlicher Fördergelder kassiert hat, zu Problemen wegen Niedriglöhnen, Arbeitsverdichtung und Unfällen. Erst kürzlich [Januar 2019] hat Tesla 7% der Belegschaft – mehr als 3.000 Arbeiter*innen – entlassen, um mehr Gewinne zu erwirtschaften [und zwei Monate später wurden weitere 8% gefeuert].

Konversion

Ein anderer Ansatz, der eine staatlich zentralisierte Planung im Blick hat, wurde von Richard Smith vorgeschlagen, einem Öko-Sozialisten und Mitglied der Organistion „Demokratische Sozialist*innen Amerikas“ (DSA). Smith interpretiert den Vorschlag von Alexandria Ocasio-Cortez auf seine Weise:
„Ocasio-Cortez (…) ist eine mutige, feministische, antirassistische und sozialistisch inspirierte Nachfolgerin [des ehemaligen US-Präsidenten Franklin D. Roosevelt]. (…) Sie hebt die Diskussion über globale Erwärmung auf eine neue Ebene.(…) Sie fordert keinen Handel mit Emissionsrechten, Steuern auf Kohlendioxid oder andere „marktförmige“ Lösungen. Sie ruft lautstark nach einer Dekarbonisierung [2] und fordert damit letztlich den Kapitalismus heraus, indem sie das System in Frage stellt.“ [3]

Smith ist davon überzeugt, dass man die Ziele des Green New Deal nicht durch sowas wie „Anreize“ verwirklicht werden kann – und damit hat er recht. Er hebt hervor, dass es der Erklärung des Green New Deal „an Konkretem mangelt“, wie dessen Ziele erreicht werden sollen. Um zum Ziel der Entkarbonisierung der Wirtschaft zu gelangen, schlägt er ein Programm in drei Schritten vor:
– den Notstand ausrufen, um den Gebrauch fossiler Brennstoffe zu verhindern, deren weitere Gewinnung zu stoppen und die fossile Energiewirtschaft zu verstaalichen, um sie abzuschaffen
– ein landesweites Programm nach der Art der Arbeitsbeschaffungsbehörde WPA [4] der 1930er Jahre, um die Belegschaften der geschlossenen Industrien in „nützliche, aber emissionsarme“ Wirtschaftsbereiche „mit entsprechenden Löhnen und Zuschlägen“ zu verlagern
– ein staatliches Aufbauprogramm zur Förderung von nachhaltiger Stromproduktion, Elektrofahrzeugen und anderen Transportmethoden, die nicht auf der Verbrennung fossiler Energieträger beruhen, sowie des Umbaus der petro-chemischen Intensivlandwirtschaft auf biologischen Anbau

Richard Smith hebt hervor, dass Ocasio-Cortez sich zwar ausdrücklich für staatliche Planungen einsetzen würde, dass es aber dem Entwurf für einen Green New Deal aus seiner Sicht daran mangelt, kein „Nationales Planungsamt für Reorganisierung, Neubewertung und Umbau der wirtschaft“ vorgeschlagen zu haben. In Bezug auf Verstaatlichung stellt er jedoch klar: „Wir rufen nicht nach Enteignung“. Stattdessen spricht er davon, die Aktienbesitzer*innen zu „fairen Martkpreisen“ auszahlen zu wollen. Dieser Vorschlag würde jedoch direkt in eine staatlich gelenkte Form kapitalistischer Wirtschaft führen – eine Art Staatskapitalismus.

Der Vorschlag von Smith ist weitgehend unrealistisch, denn sollen wir wirklich glauben, dass das von Medienunternehmen beeinflusste Wahlsystem in den USA dazu benutzt werden könnte, um Politiker*innen (der unternehmensgesteuerten Demokratischen Partei) zu wählen, welche ein viele Billionen Dollar teures Programm zur Enteignung von fossiler Energiewirtschaft, Automobilherstellern und chemischer Industrie aufsetzen, damit eine Planungsbehörde die Kontrolle über die Wirtschaft übernehmen kann?

Die amerikanische Arbeiter*klasse hatte in den 1930er Jahren wichtige Fortschritte durchgesetzt, wie Mindestlöhne und Arbeitslosenversicherung („Fair Labor Standards Act„), sowie die Hilfe für Familien mit bedürftigen Kindern („Aid to Families with Dependent Children“). Doch diese Zugeständnisse konnten nur erkämpft werden durch einen Aufstand der Arbeiter*innen vor dem Hintergrund gewaltiger Auseinandersetzungen auf der ganzen Welt: Die Arbeiter*innen-Revolution in Spanien [5], Fabrikbesetzungen in Frankreich [6], der kommunistische Aufstand in China [7] und die Sowjetherrschaft in Russland [8]. Zu dieser Zeit sah sich der Kapitalismus einer existenziellen Bedrohung gegenüber.

In den USA fand zwischen 1933 und 1937 eine riesige Welle rebellischer Arbeitskämpfe statt, mit Millionen Arbeiter*innen im Streik, hunderttausenden Besetzungen bzw. Sitzstreiks am Arbeitsplatz und der Bürgerrechtsbewegung gegen rassistische Gesetze in den Südstaaten („Jim Crow“). Im Jahr 1936 führte diese wütende und kämpferische Stimmung fast zur Gründung einer landesweiten Landarbeiter*innen-Partei, welche eine große Bedrohung für die „Demokratische Partei“ gewesen wäre. Viele ehemals kompromisslose Unternehmen wurden gezwungen Abkommen mit den Gewerkschaften auszuhandeln. Und die Demokratische Partei enschloss sich damals einen linken Kurs einzuschlagen.

Green New Deal - Plakat zur EU-Wahl 2019

Es ist aber ein Fehler, den New Deal romantisch zu verklären und von der Arbeitsbeschaffungsbehörde WPA der Dreißiger Jahre als einem Modell zur „Arbeitsplatzsicherung“ zu sprechen, mit dem staatlichen Arbeitgeber als letzten Ausweg. Denn bis Ende der 1940er Jahre gab es trotzdem immernoch 17% Arbeitslosigkeit in den USA und wer für die WPA arbeitete hatte oftmals Stress wegen niedriger Löhne. Es gab Gewerkschaften, die von Kommunist*innen, Sozialist*innen und Syndikalist*innen gegründet wurden und Streiks der WPA-Arbeiter*innen organisierten.

Die Fortschritte, welche in den Dreißiger Jahren von der Arbeiter*klasse durchgesetzt wurden, kamen weder durch reine Erfolge bei den Parlamentswahlen, noch waren die konservativ-bürokratischen, „internationalen Gewerkschaften“ der „American Federation of Labor“ (AFL) dabei förderlich. Die AFL war eher ein Hindernis für den Fortschritt, weshalb auch mehrere Hunderttausend Arbeiter*innen ab 1934 neue, eigene Basisgewerkschaften gründeten.

Smith ist aber nicht der einzige, der eine staatliche Zentralplanung als Lösung anbietet. Die Idee wurde kürzlich auch von verschiedenen Staatssozialist*innen diskutiert, z.B. von Leuten aus dem Umfeld der Zeitschrift „Jacobin“ und der „Demokratischen Sozialist*innen Amerikas“ (DSA). Deren Verfechter*innen gehen meist davon aus, dass der Staat eine klassen-neutrale Einrichtung sei, die von der Arbeiter*klasse übernommen und für ihre Zwecke umgestaltet werden könne.

In Wirklichkeit handelt es sich beim Staat aber nicht um eine klassen-neutrale Institution, sondern Unterdrückung ist bereits in seiner eigenen Struktur angelegt. Zum Beispiel sind Arbeiter*innen im Öffentlichen Dienst ebenso einer verwaltenden Bürokratie unterworfen, wie die Kolleg*innen in privaten Unternehmen. Das tägliche Geschäft der staatlichen Institutionen wird kontrolliert durch die Verwaltungseliten der bürokratischen Technokratie: staatliche Manager*innen und Hochprofessionelle, die als Sachverständige, Anwält*innen, Richter*innen, Militär- und Polizeichefs dienen. Hinzu kommen die „professionellen Stellvertreter*innen“, die Politiker*innen, welche typischerweise entweder aus dem Management von Unternehmen stammen oder aus der staatlichen Bürokratie, also aus jenen Klassen, denen die Arbeiter*innen untergeben sind.

Als ein Planungsansatz von oben herab verfügt die staaliche Zentralwirtschaft keinesfalls über Zugang zu genauen Informationen über die öffentlichen Bedürfnisse nach Gütern und Dienstleistungen oder die Konsumwünsche der Einzelnen. Zentrale Planwirtschaft ist darüber hinaus ihrem Wesen nach autoritär, denn ihre Grundlage ist die Verweigerung einer Selbstverwaltung derjenigen Leute, die von diesen Entscheidungen in erster Linie betroffen sind. Die Verbraucher*innen und die Bewohner*innen von Gemeinwesen einerseits und die Arbeiter*innen der unterschiedlichen Industriebranchen andererseits bleiben dabei weiterhin Opfer der autoritären Verwaltung.

Selbstverwaltung bedeutet nämlich, dass die Leute, welche die Folgen von Entscheidungen tragen müssen sind, über diese selbst bestimmen, je nachdem inwiefern sie davon betroffen sind. Im Betriebsablauf sind viele Entscheidungen zu fällen, bei denen die vorrangig betroffene Gruppe aus denjenigen besteht, welche den Produktionsprozess leisten.

Wenn Selbstverwaltung ernst genommen wird, bedarf es einer Art verteilter Planungskontrolle, bei der alle von den jeweiligen Entscheidungen vorrangig Betroffenen, wie die Bewohner*innen von lokalen Gemeinwesen oder die Arbeiter*innen eines Wirtschaftszweiges, einen unabhängigen Bereich von Kontrolle über die Entscheidungsfindung haben. Dies ist die Grundlage für eine syndikalistische Alternative [9] der verteilten Planung, wie sie im Folgenden ausgeführt wird.

Von Staatssozialist*innen wird „Arbeiter*kontrolle“ gelegentlich als ein Bestandteil von zentraler Planwirtschaft angepriesen, doch die wirklich gemeinschaftliche Kontrolle der Arbeiter*innen über die Produktionsprozesse ist mit dem Konzept einer zentralen Planung nicht vereinbar. Wenn alle Pläne von einer einzigen, elitären Gruppe entwickelt werden, benötigt diese Zentrale ihre eigenen Manager*innen, die dafür sorgen, dass ihre Vorhaben an den Arbeitsplätzen vor Ort auch umgesetzt werden. Das Gerede von einer [staatlichen] „Arbeiter*kontrolle“ verdrängt jedoch diese Logik.

Eine Zentralverwaltungswirtschaft ist nämlich nicht in der Lage, die ausbeuterische und kostenauslagernde Logik des Kapitalismus zu überwinden, welche den Kern der ökologischen Krise ausmacht. Viele Teile der Weltbevölkerung sind von Verschmutzung direkt oder indirekt betroffen, wie z.B. die Folgen von Pestizidvergiftung für die Landarbeiter*innen oder deren Auswirkungen auf Luft und Wasser in den örtlichen Gemeinden.

Die einzige Möglichkeit diese Logik der Auslagerung von Kosten zu überwinden, bedeutet für die betroffenen Bevölkerungsteile – Arbeiter*innen und Gemeinden – die direkte Kontrolle zu übernehmen, um eine Vergiftung zu verhindern. In Bezug auf die globale Erwärmung heißt das, die allgemeine Bevölkerung muss durch direkte Selbstermächtigung die Kontrolle übernehmen, damit alle Leute über die erlaubte Menge von Abgasen in die Atmosphäre direkt entscheiden können.

So schwierig, wie das scheinen mag, so brauchen wir doch einen Übergang zu einer selbstverwalteten und von den Arbeiter*innen kontrollierten, [freiheitlich] sozialistischen Wirtschaftspolitik, wenn wir eine Lösung für die heutige ökologische Krise finden wollen. Aber diese Umwandlung kann nur durch den Aufbau einer mächtigen Mitbestimmungsbewegung der unterdrückten Minderheiten im Rahmen der Kämpfe gegen die bestehenden Herrschaftsverhältnisse verwirklicht werden.

Die syndikalistische Alternative für eine öko-sozialistische Zukunft

Das Problem besteht nicht darin, dass Leute für unmittelbare Veränderungen kämpfen, welche innerhalb der erreichbaren Ziele liegen. Doch es geht darum, wie wir diesen Wandel herbeiführen wollen, denn Veränderungen können auf unterschiedliche Weise erkämpft werden. Das Grundproblem besteht in der Strategie der parlamentarischen Sozialist*innen („Sozialdemokrat*innen“) sich auf Methoden zu verlassen, welche die Leute aus der Arbeiter*klasse dazu bringen auf „professionelle Stellvertreter*innen“ zu vertrauen, welche alles für uns erledigen. Dieser Ansatz führt meist zum Aufbau und zur Verantwortungsübernahme einer bürokratischen Schicht, welche sich von den einfachen Arbeiter*innen entfernt und durch diese nicht wirksam kontrolliert werden kann.

Solche Vorgehensweisen führen zur Herausbildung einer gesellschaftlichen Schicht von amtlichen Berufspolitiker*innen, einem bezahlten Parteiapparat und Lobbyist*innen. Dadurch ist die Gewerkschaftsbürokratie mit freigestellten Funktionär*innen in der Lage an unserer Stelle die Verhandlungen zu leiten. Ebenso verhält es sich mit den bezahlten Mitarbeiter*innen der großen Nichtregierungsorganisationen [NGOs].

Die Syndikalist*innen bezeichnen dies (in Ermangelung einer besseren Beschreibung) oft als „reformistische“ Methoden, aber nicht weil wir gegen den Kampf für Reformen sind. Jeder Kampf für eine weniger als absolute Veränderung (z.B. mehr Geld für Schulen oder mehr Pflegepersonal) ist eine „Reform“. Doch die Methoden, welche von den parlamentarischen Sozialist*innen angewendet werden sind „reformistisch“, weil sie den Aufbau einer Bewegung für einen weiterreichenden Wandel verhindern. Die Geschichte des letzten Jahrhunderts hat gezeigt, dass diese bürokratische Klasse bei der Herausbildung eines Kampfes für einen Übergang zu einer von Arbeiter*innen kontrollierten, [freiheitlich] sozialistischen Produktionsweise letztlich im Wege steht.

Man kann sagen, dass eine Vorgehensweise mittels Aktionen und Organisierung den Wandel herbeizuführen insofern „nicht-reformistisch“ ist, als daß dabei basisorientierte Massenorganisationen geschaffen werden, die auf die Beteiligung an kämpferischen Gemeinschaftsaktionen (wie Streiks) vertrauen. Sie fördern Selbstbewußtsein, Selbstvertrauen, Organisationsfähigkeit, allgemeine aktive Mittbestimmung und breite Solidarität zwischen verschiedenen Gruppierungen der unterdrückten und ausgebeuteten Mehrheit.

Syndikalismus ist dabei eine Strategie, die auf nicht-reformistischen Formen von Aktion und Organisierung aufbaut. Nicht-reformistisch organisierte Kampfformen haben daher die Kontrolle durch alle Mitglieder zur Grundlage mittels demokratischer Teilhabe und gewählten Abordnungen (Delegierten), wie ernannte Vertrauensleute oder abrufbare Verhandlungsgesandte.

Und eine ähnliche Basisdemokratie kann auch in anderen Organisationen ausgeübt werden, welche von Menschen aus der Arbeiter*klasse aufgebaut werden, wie z.B. Mieter*innen-Vereinigungen. Nicht-reformistische Aktionsformen sind in der Lage die alltägliche Geschäftsroutine zu durchbrechen und sie tun dies durch gemeinschaftliche Beteiligung an Streiks, Besetzungen oder kämpferischen Demonstrationen.

Der wesentliche Unterschied zwischen den an parlamentarischer Stellvertretung orientierten Sozialist*innen und den Syndikalist*innen ist der Vorgang, der vom Marxismus die „Klassenformierung“ [Herausbildung einer Klasse „für sich“] genannt wird. Dabei handelt es sich um einen mehr oder weniger langwierigen Prozess, in welchem die Klasse der Arbeiter*innen ihre Schicksalshaftigkeit und die inneren Spaltungen (entlang rassistischer oder geschlechtlicher Grenzen) durchbricht, indem sie sich Kenntnis über das System aneignet. Dadurch bildet sich Selbstvertrauen, Organisationsfähigkeit und der Wunsch nach einem sozialen Wandel. Bei diesem Vorgang „formt“ die Arbeiter*klasse sich selbst in eine Kraft, welche lernt die herrschenden Klassen herauszufordern und erfolgreich um die Kontrolle der Gesellschaft zu kämpfen.

Wenn die Menschen sehen, wie um sie herum wirkungsvolle Gemeinschaftsaktionen sich verbreiten, könnte dies deren Sichtweise auf ihre Lage verändern. Sobald sie erkennen, dass diese Art der kollektiven Macht fähig ist, eine Lösung ihrer eigenen Probleme herbeizuführen, kann dies ihre Wahrnehmung der Möglichkeiten des Wandels verändern. Die tatsächliche Erfahrung gemeinschaftlicher Handlungsfähigkeit ermöglicht es, eine viel weitergehende Machbarkeit von Veränderung vorstellbar zu machen.

Wenn Arbeiter*innen direkt am Aufbau von eigenen Gewerkschaften beteiligt sind und Streiks gemeinsam mit ihren Kolleg*innen durchführen, oder aber Mieter*innen-Vereinigungen gründen und direkte Aktionen gegen Mieterhöhungen bzw. schlechte Wohnverhältnisse durchführen, so ist die gesellschaftliche Basis unmittelbar [in die sozialen Kämpfe] einbezogen. Dies untertützt viele Menschen dabei, zu lernen wie man organisiert und es schafft ein Selbstverständnis von: „Wir können etwas bewegen“. Und die Leute lernen darüber hinaus auch direkt, wie das System funktioniert.

Viele kommen möglicherweise zu der Schlussfolgerung: „Wir haben die Macht, die Gesellschaft zu verändern“, wenn sie erkennen, welche wirkliche Kraft in ihresgleichen steckt, sobald diese tatkräftig umgesetzt wird durch Streiks, Besetzung von Gebäuden oder anderen Arten von Massenaktionen. Mit anderen Worten: Eine Bewegung der direkten Teilhabe und Basisdemokratie ermöglicht den Menschen mehr Einsicht in die Möglichkeit eines Wandels von unten.

Im Kampf für gesellschaftliche Veränderungen bedeutet es andererseits, dass dieser Prozess [der Selbstermächtigung] behindert wird, falls die Entscheidungsbefugnis in den Händen einer bürokratischen Klasse professioneller Politiker*innen und abgehobener Gewerkschaftsfunktionär*innen gebündelt wird. Denn hierbei können weder Selbstvertrauen, noch Organisationsfähigkeit von Arbeiter*innen entwickelt werden. „Die Fähigkeit zum Wandel liegt in unseren Händen“, doch ein Bewußtsein darüber kann sich durch die Konzentration von Entscheidungsmacht nicht entwickeln. Dies ist das Grundproblem des parlamentarischen Sozialismus („Sozialdemokratie“), da ein Prozess von Klassenbildung dadurch verhindert wird.

Das parlamentarische Feld ist auch deshalb kein bevorzugter Ort für den Kampf der Arbeiter*klasse um einen Wandel, da die Wahlbevölkerung dazu neigt, sich vom wohlhabenden Teil der Gesellschaft ins Abseits drängen zu lassen. Große Teile der Arbeiter*schaft sehen daher keinen Grund zur Wahl zu gehen. Sie sehen die Politiker*innen nicht als diejenigen an, die sich ihrer Probleme annehmen. Daher liegt der Anteil der Nichtwähler*innen in der Gesellschaft eher bei den Ärmeren – also der Arbeiter*klasse, als der Anteil der Wähler*innen. Das bedeutet, dass die Arbeiter*klasse bei Wahlen nicht ihre zahlenmäßige Übermacht zur vollen Geltung bringen kann.

Eine Veränderungsstrategie, die sich auf Stimmabgabe und politische Parteien konzentriert, neigt dazu, für eine Übernahme der Staatsmacht durch ihre Anführer*innen das Wahlergebnis in den Mittelpunkt zu stellen, damit sie an unserer Stelle den Wandel vollziehen können. Diese Ausrichtung führt uns jedoch weg von einer unabhängigen Form der Klassenpolitik, die sich auf gemeinsame Aktionen von einfachen Leuten bezieht. Diese bestehen aus der direkten Organisation und der unmittelbaren Teilnahme (beispielsweise an Streiks) oder im Aufbau direkter Solidarität zwischen verschiedenen Bevölkerungsteilen der Arbeiter*klasse, sowie Kampagnen für Massenproteste zu selbstgewählten Zielen usw.

Um klarzustellen, der Autor spricht sich nicht dafür aus, dass man nicht zur Wahl gehen sollte, oder daß es keinen Unterschied mache, wer an der Macht ist. Denn das ist oft tatsächlich der Fall und unabhängige Organisationen von Arbeiter*innen und Gemeinschaften können auch direkten Druck auf das Handeln von Politiker*innen ausüben. Aber hier geht es darum, welche Strategie für einen Wandel wir bevorzugen. Der Autor spricht sich daher gegen eine Veränderungsstrategie aus, die auf die Rolle von gewählten Stellvertreter*innen, politischen Parteien oder einem bezahlten Apparat hauptamtlicher Gewerkschaftsfunktionär*innen vertraut (bzw. sich darauf konzentriert).

Die Strategie der Teilnahme an Wahlen führt zu einer Herausbildung einer politischen Maschinerie mit welcher die Massenorganisationen sich auf Berufspolitiker*innen und Parteisoldat*innen verlassen. Diese Art von Praxis neigt dazu, eine bürokratische Klasse von professionellen Politiker*innen, Medien, Denkfabriken (think-tanks) und Parteifunktionär*innen hervorzubringen, die ihre ganz eigenen Interessen entwickelt.

Wenn das Vorgehen ausgerichtet ist auf die Wahl von Personen in ein staatliches Amt, so werden dabei hochgebildete Profis und Leute mit „Verwaltungserfahrung“ als Kandidat*innen bevorzugt, weil die in den Medien „gut aussehen“. Und das bedeutet, dass in parlamentarisch ausgerichteten Parteien eher Menschen aus der professionellen und verwaltenden Gesellschaftsschicht eine Führungsrolle übertragen bekommen.

Das führt dazu, die Fähigkeiten der einfachen Leute aus der Arbeiter*klasse herabzusetzen, um die Kontrolle über die Ausrichtung der Partei zu behalten. Das ist ein Teil des Vorgangs der Entwicklung einer Partei zu einem abgetrennten bürokratischen Wesen mit Eigeninteressen. Denn da es nur noch darum geht, Wahlen zu gewinnen und die eigene Stellung im Staat zu erhalten, kann das dazu führen, dass direkte Aktionen von Arbeiter*innen (wie Arbeitsniederlegungen oder Übernahme von Arbeitsplätzen), welche den üblichen Ablauf durcheinanderbringen, bei der Partei auf Gegenwehr stoßen. In der Geschichte gibt es zahlreiche Beispiele von gewählten Anführer*innen sozialistischer Parteien, die solch eine ablehmemde Haltung eingenommen haben.

Dabei hat der zunehmende Einfluss parteisozialistischer Politik – beispielsweise im Europa der Nachkriegszeit – schließlich zum Rückgang der Kampfbereitschaft in der Arbeiter*bewegung geführt und es wurde sogar das Bekenntnis zum Sozialismus zurückgenommen.[10] Die europäischen Parteisozialist*innen standen bei Wahlen im Wettbewerb zueinander und versuchten sich gegenseitig mit der Ankündigung kurzfristiger Reformen zu übertrumpfen. Dies wurde der zentrale Blickwinkel solcher Parteien und machmal haben sie damit auch eine Wahl gewonnen.

Waren sie erst an der Spitze der nationalen Regierung angelangt, so stellten sie schnell fest, dass es nun ihre Aufgabe war, den Kapitalismus zu „verwalten“ – das kapitalistische System am Laufen zu halten. Wären sie zu radikal vorgegangen, hätten sie die Stimmen der Mittelklasse verloren oder die Elite der Investor*innen wäre in Panik ausgebrochen und dazu übergegangen ihr Kapital im Ausland in Sicherheit zu bringen. In manchen Fällen waren Elemente des „Tiefen Staats“, wie das Militär und die Polizeikräfte, dazu übergegangen die Macht zu übernehmen.[11] Die meisten dieser Parteien änderten schließlich das Konzept ihrer Ausrichtung und gaben das Ziel des Sozialismus auf zugunsten des Kapitalismus.

Öko-Syndikalismus

Ein ökologischer Syndikalismus baut auf die Anerkennung der Arbeiter*innen, sowie auf direkte Vereinigungen von Arbeiter*innen und Nachbarschaften, als eine Kraft im Kampf gegen das umweltzerstörende Handeln von kapitalistischen Unternehmen. Denn giftige Materialien werden ja [abgebaut oder hergestellt und] transportiert von Arbeiter*innen. Auch grundwasserschädliche Lösungsmittel, wie sie in der elektronischen Fertigung verwendet werden, schädigen die Gesundheit von Arbeiter*innen. Schädlingsbekämpfungsmittel (Pestizide) vergiften die Landarbeiter*innen.

Diese industriellen Gifte betreffen in erster Linie die Lohnabhängigen an ihren Arbeitsplätzen und vergiften darüber hinaus die benachbarten Wohngebiete der Arbeiter*klasse. Und Pfleger*innen müssen dann die körperlichen Auswirkungen dieser Vergiftung bei allen Menschen behandeln. Vielfach ist es sogar auch zu explosiven Entgleisungen gekommen, die gezeigt haben, welch große Gefahr [z.B.] Erdöl-Transporte für die Bahnarbeiter*innen, wie auch für die Ortschaften sein können. Der Kampf des Eisenbahnpersonals für eine angemessene Personalausstattung in Zügen ist daher ein Teil der Bekämpfung solcher Gefahren.

Gifte, Staub und Strahlen - wer muss dafür zahlen?

Arbeiter*innen sind eine mögliche Kraft im Widerstand gegen die Entscheidungen der Arbeitgeber*innen, die Welt zu vergiften oder das Klima aufzuheizen. Auch beim Ausbau von Alternativen zur globalen Erwärmung können Arbeiter*innen eine Rolle spielen, beispielsweise beim Ausbau des öffentlichen Verkehrswesens. Im Widerstand der Arbeiter*klasse gegen die Umweltverschmutzung wandte sich z.B. die Australische Bauarbeiter*innen-Föderation der 1970er Jahre mit verschiedenem „grünen Boykott“ (green bans) gegen den Transport und die Verarbeitung von [radioaktivem] Uran.

Durch ein Verständnis dieser Zusammenhänge entwickelte sich die umweltschützerische Richtung innerhalb der syndikalistischen Bewegung der 1980er und 1990er Jahre: der Öko-Syndikalismus, auch „grüner Syndikalismus“ genannt. Ein Beispiel dafür ist das organisatorische Werk von Judi Bari [12], einem Mitglied der IWW [13] und von EarthFirst [14]. Sie arbeitete in der waldreichen Region im Norden von Kalifornien und versuchte ein Bündnis zwischen den Arbeiter*innen (und deren Gewerkschaften) in der Holzverarbeitungsindustrie zusammen mit Umweltschützer*innen zu schließen, welche versuchten die Abholzung der uralten [Mammut-]Bäume zu verhindern.

Zusammenschlüsse am Arbeitsplatz oder in der Kommune können auf verschiedene Art eine direkte Kraft gegen den fossilen Kapitalismus sein: Durch unterschiedliche Aktionen gegen Kohle- oder Ölhäfen […] oder durch durch die Unterstützung von Arbeiter*innen und Nachbarschaften für indigene [15] bzw. ländliche Gemeinschaften in ihrem Kampf gegen Umweltverschmutzung durch fossile Energieträger, wie bei der Blockade von Standing Rock in Dakota.[16] Gewerkschaften können aber auch an Arbeitsplätzen in „grünen“ kapitalistischen Unternehmen aufgebaut werden, um dort gegen niedrige Löhne und andere oben genannte Mißstände vorzugehen.

Die unterschiedlichen Herangehensweisen von Syndikalist*innen einerseits und parlamentarischen Sozialist*innen andererseits führen zu verschiedenen Vorstellungen davon, was „Sozialismus“ und „Demokratie“ bedeuten. Politiker*innen neigen dazu, gegeneinander um das richtige Vorgehen zur Umsetzung ihrer Ziele mittels des Staates zu konkurrieren. Dies verfestigt eine staatssozialistische Sichtweise, die den Sozialismus als eine Reihe von Reformen betrachtet, welche durch eine bürokratische, öffentliche Verwaltung von oben herab umgesetzt werden. […]

Eine hierarchische Macht, in der eine Bürokratie die Staatsverwaltung von oben nach unten kontrolliert, wird aber keine Lösung der heutigen ökologischen Herausforderungen hervorbringen können. Die Geschichte der „Ostblock-Staaten“ [17] hat bereits Mitte des 20.Jahrhunderts gezeigt, dass diese ebenfalls in der Lage waren, Verschmutzung und ökologische Zerstörung durch die Auslagerung von Kosten zu verursachen.

Auf der anderen Seite steht die syndikalistische Vorstellung eines selbstverwalteten Sozialismus, der eine realistische Grundlage zur Lösung der ökologischen Krise darstellt. Denn er steht für eine föderal verbundene und dezentral verteilte Planung, welche die Macht den örtlichen Kommunen und den Arbeiter*innen verschiedener Wirtschaftsbereiche überlässt, die dadurch in der Lage sind, umweltschädliche Entscheidungen zu verhindern.

Ein Sozialismus in diesem syndikalistischen Sinn bedeutet also die absolute Befreiung der Menschheit. Und dabei spielt die Selbstbefreiung der Arbeiter*klasse eine zentrale Rolle, um die Unterdrückung und Ausbeutung durch ein System von herrschenden Klassen an der Spitze zu beenden. Daher bedeutet für Syndikalist*innen der Übergang zum Sozialismus, dass die Arbeiter*innen alle Wirtschaftsbereiche übernehmen und gemeinsam weiterbetreiben – auch die öffentlichen Dienstleistungen. Dieser Sozialismus wird also von unten aufgebaut und von der Arbeiter*klasse selbst erschaffen.

Die syndikalistischen Bewegungen haben sich in ihrer Geschichte stets für eine Planwirtschaft eingesetzt, die aus einem verzweigten Modell demokratischer Planung mit Versammlungen in Nachbarschaften und am Arbeitsplatz besteht. Sowohl die Bewohner*innen von Kommunen, wie auch die Arbeiter*innen in ihren Produktionsvereinigungen, haben selbst die Entscheidungsmacht über die Planentwicklung im jeweiligen Bereich.

Ein verteiltes System von verbündeten Zusammenschlüssen (dezentrale Föderationen) an der Basis entsendet Delegierte durch Aufgabenübertragung zu Kongressen oder in Räte. Und sie nutzen systematische Verhandlungen, um die Vorschläge und Absichten der verschiedenen Gruppierungen untereinander „anzupassen“.

Beispiele für diese freiheitlich-sozialistische, planwirtschaftliche Verteilung sind unter anderem die ausgehandelten Koordinationsvorschläge der Gildensozialist*innen zur Zeit des Ersten Weltkriegs.[18] Auch das Programm der spanischen Anarchosyndikalist*innen für Nachbarschaftsversammlungen in „freien Gemeinden“ und für Arbeiter*innen-Kongresse ist dabei hervorzuheben.[19] Den jüngsten Versuch eines Modells für Planungsbeteiligung haben Robin Hahnel und Michael Albert [in „Parecon“] beschrieben.[20]

Eine Form des selbstverwalteten Sozialismus für das 21. Jahrhundert wäre ein horizontal föderiertes Produktionssystem, das in der Lage ist, die Planung und Abstimmung der gesamten Wirtschaft in einem weitreichenden Gebiet einzubinden. Das würde den Arbeiter*innen Folgendes ermöglichen:
• Kontrolle über die technologische Entwicklung [und Abschätzung ihrer Folgen]
• Umorganisierung von Arbeitsplätzen und Bildung zur Verhinderung von bürokratischer Machtkonzentraion in den Händen von Manager*innen und Hochprofesionellen (durch Entwicklung von Fertigkeiten bei Arbeiter*innen, sowie durch Erarbeitung von Entscheidungswegen und Konzeptfindungen, welche in die Ausübung körperlicher Arbeit eingebundenen sind)
• Verkürzung der Wochenarbeitszeit und Aufteilung von Arbeitsverantwortung auf alle Leistungsfähigen
• Schaffung einer neuen Logik der technischen Entwicklung, die sowohl für Arbeiter*innen, wie auch für die Umwelt verträglich ist

Eine nur auf die örtlichen Bedingungen und rein auf eine heruntergebrochene Kontrolle von Arbeitsplätzen (wie in Arbeiter*innen-Kooperativen innerhalb der Marktwirtschaft) ausgerichtete Sichtweise ist jedoch nicht genug. Eine allumfassende Absprache (Koordination) ist nötig, um die gesellschaftlich ausgerichtete Produktion vom Druck der Marktwirtschaft und vom Wachstumszwang des Kapitalismus zu befreien, indem zwischen den Regionen mehr Solidarität aufgebaut wird. Es braucht dazu außerdem eine direkte, kommunale Verantwortung dafür, was eigentlich produziert wird und welche Auswirkungen das auf die Gemeinschaft und die Umwelt hat.

Der Schutz der ökologischen Gemeingüter (commons) benötigt die unmittelbare, kommunale Sozialverwaltung und Kontrolle über die Produktionsmittel. Das bedeutet eine direkte, massenhafte Selbstermächtigung derjenigen, die in erster Linie von einer Verschmutzung betroffen sind bzw. selbst unter solcher Umweltzerstörung leiden müssen.

Dies ist nötig, um die ökologische Katastrophe durch das kostenauslagernde Verhalten zu beenden, welches ein Strukturmerkmal sowohl des Kapitalismus, wie auch der staatlichen Bürokratie ist. Eine direkte kommunale Demokratie und die Selbstverwaltung der Wirtschaft durch alle Arbeiter*innen bilden die beiden wesentlichen Bausteine eines freiheitlich-ökosozialistischen Programms.

Tom Wetzel

Quelle: „A ‚Green New Deal‘?: The Eco-syndicalist Alternative“, in: „ideas & action“ (Workers‘ Solidarity Alliance, WSA), 15.04.2019, http://ideasandaction.info/2019/04/green-deal-eco-syndicalist-alternative/

Übersetzung [und Anmerkungen]: Anarchosyndikalistisches Netzwerk – ASN Köln

Anmerkungen:

1) Auch Parteien in Deutschland, wie „Bündnis90/Die Grünen“ oder „Demokratie in Europa“ (DiEM25) fordern einen „Green New Deal“, https://de.wikipedia.org/wiki/Green_New_Deal)

2) Umstellung auf kohlenstofffreie Energie (Emissionsminderung, Stromsparen, Ersetzen)

3) Richard Smith: “An Ecosocialist Path to Limiting Global Temperature Rise to 1.5°C”,
in: Real World Economics Review (01.03.2019), veröffentlicht am 26.11.2018, https://systemchangenotclimatechange.org/article/ecosocialist-path-limiting-global-temperature-rise-15%C2%B0c

4) „Works Progress Administration“: US-Bundesbehörde, die 1935-’43 im Rahmen des „New Deal“ Millionen Arbeiter*innen im Hoch- und Tiefbau eingesetzt hat, sowie kulturelle Projekte förderte, https://de.wikipedia.org/wiki/New_Deal

5) hunderttausende Arbeiter*innen leisteten gegen den faschistischen Militärputsch von General Franco massenhaft Widerstand und vor allem die anarchosyndikalistische Basisgwerkschaft CNT machte sich direkt daran, die soziale Revolution in selbstverwalteten Betrieben und freien Kommunen Wirklichkeit werden zu lassen – bis zur Niederschlagung durch einerseits stalinistische und andererseits faschistische Truppen im Jahr 1939, was die Diktatur Francos (bis 1975) zur Folge hatte, https://de.wikipedia.org/wiki/Anarchismus_in_Spanien#Anarchistische_Pr%C3%A4senz_im_Spanischen_B%C3%BCrgerkrieg

6) während der sozialrevolutionären und subkulturellen Protestwelle im Mai 1968 waren in Frankreich etwa 50 Unternehmen von streikenden Arbeiter*innen besetzt worden (https://de.wikipedia.org/wiki/Mai_1968_in_Frankreich) und 1973/’74 war der Uhrenhersteller LIP von der Belegschaft in einem wilden Streik übernommen (https://de.wikipedia.org/wiki/Lip_(Uhrenhersteller))

7) in der seit 1949 bestehenden Volksrepublik China fanden unter dem marxistisch-leninistischen Diktator Mao Zedong mehrere wirtschaftlich-kulturelle und gewaltsame Umbrüche mit Millionen Todesopfern statt, https://de.wikipedia.org/wiki/Volksrepublik_China

8) nach dem Putsch gegen die Februarrevolution von 1917, herrschte in der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken (UdSSR) das Terrorregime der Kommunistischen Partei (Bolschwiki) unter den Diktatoren Lenin und Stalin, bevor es 1991 zusammenbrach, https://de.wikipedia.org/wiki/Sowjetunion

9) Der Syndikalismus setzt sich dafür ein, dass alle in unabhängigen Basisgewerkschaften und lokal-regionalen Föderationen weltweit organisierten Arbeiter*innen selbstbestimmt Produktion, Verteilung und Konsum des gesellschaftlichen Bedarfs an Gütern und Dienstleistungen organisieren. Der Anarchosyndikalismus tut dies im Sinne eines herrschaftsfreien Kommunismus (nach Pjotr Kropotkin), https://de.wikipedia.org/wiki/Anarchosyndikalismus

10) wie im Godesberger Parteiprogramm der bundesdeutschen Sozialdemokratie, das 1959 zur Abkehr vom Ziel des Sozialismus und zur Anerkennung von Marktwirtschaft und Militarismus führte, https://de.wikipedia.org/wiki/Godesberger_Programm

11) z.B. die von der NATO gestützte „Obristen“-Diktatur des griechischen Militärs (1967-’74), https://de.wikipedia.org/wiki/Griechische_Milit%C3%A4rdiktatur

12) US-amerikanische gewaltfreie Basisgewerkschafterin, Feministin und Umweltaktivistin (1949-’97), die 1990 bei einem Bombenanschlag auf ihr Auto schwere Verletzungen erlitt, https://de.wikipedia.org/wiki/Judi_Bari

13) Industrial Workers of the World, eine weltweite, unionistische Basisgewerkschaft, https://de.wikipedia.org/wiki/Industrial_Workers_of_the_World

14) internationales Netzwerk von anarchistisch beeinflussten, ökologischen Gruppen für gewaltfreie, direkte Aktionen, https://de.wikipedia.org/wiki/Earth_First!

15) ursprüngliche (autochthone), meist rassistisch diskriminierte Kulturgruppen, z.B. „First Nations“ in Kanada (https://de.wikipedia.org/wiki/First_Nations), „Native Americans“ in den USA (https://de.wikipedia.org/wiki/Indianer#Begriff) oder Sámi in Skandinavien (https://de.wikipedia.org/wiki/Indigene_V%C3%B6lker_Europas)

16) widerständisches Protestcamp im US-Reservat der „Great Sioux Nation“, das 2016/’17 mit direkten Aktionen die Erdöl-Pipeline der Firma „Dakota Access“ zu verhindern versuchte, https://de.wikipedia.org/wiki/Standing_Rock_Reservation#%C3%96lleitung_Dakota_Access_Pipeline

17) von der staatssozialistischen Sowjetunion (UdSSR) beeinflußte Länder vor allem in Osteuropa und Asien, die sich 1949-1991 auch im „Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe“ (RGW) zusammengeschlossen hatten, https://de.wikipedia.org/wiki/Rat_f%C3%BCr_gegenseitige_Wirtschaftshilfe

18) ein 1917 in England, aber auch in Österreich und Deutschland entstandene Selbstverwaltungsbewegung zur sozialistischen Wirtschaftsreform nach Vorbild der mittelalterlichen Gilden (wirtschaftliche Schutzverbände), https://de.wikipedia.org/wiki/Gildensozialismus

19) Anfang Mai 1936 beschloss der Bundeskongress der spanischen Basisgewerkschaft „Confederación Nacional del Trabajo“ (CNT) ein Konzept des freiheitichen Kommunismus, nach dem die freien Kommunen und die wirtschaftlichen Vereinigungen (Syndikate) der Arbeiter*innen nach einer sozialen Revolution die Grundlage der Gesellschaft bilden sollten, was sie bereits einen Monat später umsetzten, trotz des Spanischen Bürgerkriegs gegen den Militärputsch Francos, https://de.wikipedia.org/wiki/Confederaci%C3%B3n_Nacional_del_Trabajo#Zweite_Spanische_Republik

20) in ihrem Buch „Parecon“ („Participatory Economics“) entwarfen sie 1991 eine „Mitbestimmungswirtschaft“ zur gesellschaftlichen Teilhabe, https://de.wikipedia.org/wiki/Parecon

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Mehr Infos zur Workers‘ Solidarity Alliance:
https://anarchosyndikalismus.blackblogs.org/?s=WSA