Das Open-Source-Projekt „Nur die Karte“ (http://www.die-karte.org) veröffentlicht historische Karten von Köln aus der Zeit zwischen der Novemberrevolution am Ende des Ersten Weltkriegs bis zur Untergrundarbeit während des Nationalsozialismus mit eingezeichneten Orten, die im Zusammenhang zur libertären Arbeiter*innen-Bewegung standen.
Vor allem die Mitglieder der anarchosyndikalistischen „Freien Arbeiter-Union Deutschlands (FAUD)“ stehen dabei im Mittelpunkt der Forschung, aber auch die „Syndikalistisch-Anarchistische Jugend Deutschlands (SAJD)“ ist vermerkt. Heute noch bekannte Wohnorte von damals aktiven Personen sind ebenso zu finden, wie überlieferte Treffpunkte und historische Ereignisse, wie Demonstrationen, Kundgebungen, Versammlungen und Streiks.
Der seltsame Titel des Projekts ist eine Anlehnung an die lesenswerte Broschüre „‚Nur die Tat kann uns helfen!‘ Die FAUD im Raum Köln“, die letztes Jahr bei Syndikat-A erschienen ist und die den Autor*innen Simon Seyock und Robin Tunger als Forschungsgrundlage für die Kartensammlung diente.
Dort gibt es einige interessante Ereignisse aus der Geschichte der Region Köln zu entdecken: So ist zum Beispiel in Dellbrück ein Flüchtlingslager verzeichnet, das nach Niederschlagung des bewaffneten Aufstandes der „Roten Ruhr-Armee“ gegen den Kapp-Putsch 1920 eingerichtet wurde. Rund 5.000 Menschen befanden sich auf der Flucht vor der blutigen Repression gegen Anarchist*innen und Anarchosyndikalist*innen, die mit anderen Arbeiter*innen tagelang gegen faschistische Freikorps und die SPD-geführte Reichswehr gekämpft hatten, bevor sie sich in die britische Entmilitarisierungszone zurückziehen mussten.
Auch verschiedene Arbeitskämpfe führten zu Eintragungen in die historischen Karten, wie der wilde Streik von 900 Arbeiter*innen im Braunkohlekraftwerk Goldenberg in Hürth (04.04.1922) oder der Solidaritätsstreik in der Chemiefabrik Knapsack (02.-26.02.1921). Fast die gesamte Belegschaft hatte die Arbeit niedergelegt und sich mit einem Streik in Leverkusen solidarisiert, der gleichzeitig stattfand (29.01.-28.02.1921).
Die dortigen Arbeiter*innen der Farbenfabriken kämpften vier Wochen lang für die Einführung des Acht-Stunden-Tages nachdem ein Kollege entlassen wurde, der endlich seine Überstunden abfeiern wollte. Von den über 8.000 Streikenden in Leverkusen waren wohl etwa 10% Anarchosyndikalist*innen der FAUD. Der Leiter des „Agitationskomitees Köln-Solingen“, Sneyden aus Merscheid, wurde sogar kurzfristig wegen seiner Gewerkschaftstätigkeit festgenommen.
Unter anderem wird auch der Streik der „Notstandsarbeiter“ vom 29.-31. August 1931 erwähnt, bei dem in der Severinstraße ein Müllwagen umgeworfen wurde. Die FAUD-Zeitung „Der Syndikalist“ berichtete:
„Trotz aller Drohungen der Verwaltung standen bis Montag, dem 31. August, über 2000 Notstandsarbeiter im Streik. Die Straßen der Stadt schwammen im Dreck. Die Müllabfuhr konnte nur unter Polizeischutz geschehen. Die Autos wurden umgeworfen und Sabotageakte dort geübt, wo sie notwendig waren. Die bürgerliche Presse schrieb in Angst von Terror- und Sabotageakten, und überhaupt war ein geordnetes Leben der städtischen Betriebe nur unter polizeilicher Aufsicht möglich. Die Genossen der FAUD standen in vorderster Kampffront, wenn auch die fanatischen „Moskauwiter“ die Syndikalisten am liebsten verwünscht hätten.“ (XIII.Jg., Nr.38, S.3.)
Die FAUD Köln hatte Ende August 1924 eine mit etwa 1.500 Arbeiter*innen gut besuchte Versammlung im Gasthaus „Maurischer Tempel“ (Vor den Siebenburgen) organisiert. Die sogenannten „Notstandarbeiten“ (staatliche Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen für Erwerbslose) waren nämlich an private Unternehmen übertragen worden. Die neuen Chefs antworteten auf die drohenden Streiks direkt mit Aussperrung der kämpferischen Arbeiter*innen, weshalb diese Protestversammlung einberufen worden war, um gemeinsame Aktionen vorzubereiten.
Interessant an der Karte dürfte auch sein, dass die bis heute überlieferten Wohnungen und Aktivitäten der libertären Arbeiter*innen in den damals noch proletarischen Stadtteilen Ehrenfeld, Deutz, Kalk und Mülheim, sowie in der Innen- und Südstadt verortet waren. Diese seit den 1960er Jahren von Migration und Alternativkultur geprägten Viertel sind heute teilweise von Luxussanierung und Gentrifizierung betroffen, weil sie als beliebte Anlageobjekte für Immobilienspekulation dienen und zu Vertreibungspolitik durch steigende Mieten führen.
Dieses herausragende Studienprojekt zum Anarchosyndikalismus in Köln enthält neben Quellen- und Literaturangaben einen aktuellen Stadtplan von OpenStreetMap, sowie historisches Kartenmaterial aus den Jahren 1918 und 1925, was besonders bei Straßenumbenennungen sehr hilfreich ist. Leider sind die Adressen nur eingezeichnet, aber nicht schriftlich erkennbar, was die Suche teilweise etwas umständlich macht.
Bleibt zu hoffen, dass dieser kleine Schönheitsfehler bei diesem work-in-progress bald verbessert wird und vielleicht lassen sich ja weitere Internet-Projekte zur antiautoritären Lokalgeschichtsschreibung von diesem Beispiel anregen.
CreativeCommons: BY-NC (http://anarchosyndikalismus.blogsport.de)