Da wegen der Covid19-Pandemie aus hygienischen Gründen keine DGB-Demo zum Internationalen Tag der Arbeiter*innen stattfinden konnte, hatte ein Bündnis verschiedener linker Gruppen und Organisationen unter dem Motto #UnteilbarSolidarisch dezentrale Kundgebungen angemeldet. Zwar wurden nicht alle von der Staatsmacht genehmigt, aber einige Versammlungen konnten im begrenzten Rahmen mit Maskenpflicht unter Einhaltung von Mindestabstand stattfinden.
So fand im südlichen Vorort Rodenkirchen eine Kundgebung vor Bezirksrathaus statt, die auch auf die skandalösen Zustände in dem gegenüberliegenden Altenheim „Maternushaus“ der CURA-Unternehmensgruppe aufmerksam machte. Dort sind seit Ausbruch der Corona-Krise bisher 24 Menschen gestorben, weil sowohl Bewohner*innen, wie auch Pflegepersonal massenhaft infiziert wurden. Der millionenschwere Konzern hält sich mit öffentlichen Erklärung zu den auffälligen Infektionzahlen zurück, aber Mitarbeiter*innen berichten gegenüber den Medien von fehlender Schutzausrüstung und grassierender Angst.
Daher forderten die Demonstrant*innen eine allgemein bessere Ausstattung des Gesundheitssystems mit Personal und Materialien, sowie eine deutliche Lohnerhöhung. In den Redebeiträgen kritisierten Pflegende, wie auch Patient*innen, die vorherrschende Sparpolitik mit jahrzehntelangen Kürzungsmaßnahmen und neoliberaler Umstrukturierung. Da helfe jetzt in der Krise auch kein billiges Lob oder selbstgefälliges Beifallklatschen, sondern die Arbeitsbedingungen müssen grundlegend und schnellstmöglich verbessert werden. Nicht nur in der professionellen Pflege und Betreuung, sondern auch in der privaten Fürsorge.
Neben dieser Versammlung von etwa 20 Teilnehmer*innen und ebensoviel Zuschauer*innen, fanden im Kölner Stadtgebiet auch mehrere andere Protestaktionen statt, z.B. vor der Uniklinik und am Roncalliplatz, aber auch in Kalk und Deutz. Auf dem Heumarkt, wo normalerweise die Abschlusskundgebung der Gewerkschaftsdemo stattfindet, versammelten sich etwa 50 Linke, überwiegend autoritäre Staatskommunist*innen. Hinzu gesellten sich etwa 20 rechte Corona-Leugner*innen aus esoterischen Verschwörungskreisen, die nur teilweise auf Ablehnung stießen.
Am Altermarkt und am Hauptbahnhof hatte die Polizei insgesamt rund 30 rechte Hooligans angehalten, die wohl einem antisemitischen Aufruf zum Heumarkt gefolgt waren. Die Lage in der Altstadt war teilweise unübersichtlich und am Dom haben Beamt*innen auch von mehreren linken Demonstrant*innen die Personalien aufgenommen. Dort hatten sich den Tag über dutzende Feminist*innen und Antirassist*innen der Kampagne „Seebrücke“ zu Protesten versammelt.
An diesem dezentalen Aktionstag fanden auch in anderen Stadtteilen Kölns kleine, spontane Aktionen statt. Es wurden Parolen auf Straßen gemalt und Banner gezeigt, Schilder gemalt, Musik gemacht und vieles mehr. Auch wenn der Anlass für diese ungewöhnlichen Protestformen eine dramatische Pandemie mit weltweit Millionen Erkrankten und Hunderttausenden Toten ist, so könnte man erwägen, ob das traditionelle Gedenken an die Justizopfer des historischen Ersten Mai 1886 mit all den langweiligen Festtagsreden bezahler Gewerkschaftsfunktionäre und staatstragender Politiker*innen wirklich noch angemessen ist. Oder ob heute die Zeit gekommen ist, für einen kreativen Neubeginn sozialer Protestformen und selbstorganisierter Arbeitskämpfe – jenseits digitaler Vernetzung, auch in der realen Welt.
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