Mittlerweile ist die Massenbewegung der Gelben Westen seit neun Wochen jeden Samstag auf den Straßen Frankreichs, um gegen soziale Misstände, Verarmung und Ungerechtigkeit zu demonstrieren. Bei Versammlungen und Protesten in Bordeaux, Lyon, Marseille, Nantes, Paris, Toulouse und rund 40 weiteren Städten wurden seitdem tausende Demonstrant*innen Opfer der systematischen und weit verbreiteten Polizeigewalt.
Die Repression bestand unter anderem aus etwa 1.500 verletzten Demonstrant*innen, von denen mehr als fünfzehn Personen schwere Verletzungen erlitten. Vier Personen wurde bei Explosionen der berüchtigten Sprenggranaten (GLI F4) die Hand abgerissen, zwölf Leuten wurde ein Auge weggeschossen, jemand hat das Gehör verloren und mehr als hundert Demonstrant*innen haben Knochenbrüche oder schwere Gesichtsverletzungen. Eine Frau starb als unbeteiligte Anwohner*in durch eine abgeschossene Tränengasgranate und einige Protestierer*innen liegen noch im Koma, weil die Polizei sie mit Gummigeschossen am Kopf verletzt hat.
Gleichzeitig eröffnete die Staatsgewalt zahlreiche Ermittlungsverfahren gegen Gelbwesten, in denen sie ihnen Plünderungen und Brandanschläge vorwirft. Bei den Versammlungen der letzten Monate (oder bereits auf dem Weg dorthin) wurden 5. 500 Demonstrant*innen in Polizeigewahrsam genommen, worauf 815 Vorführungen vor Haftrichter*innen und über 200 Inhaftierungen folgten. Angesichts der staatlichen Unterdrückungsmaßnahmen wurde nun ein Aufruf zur Straffreiheit für alle Gelbwesten gestartet (#AmnistiePourLesGJ), der bereits über 16.000 Unterzeichner*innen hat. Außerdem wird eine parlamentarische Enquete-Kommission gefordert, welche die Repressionswelle untersuchen soll (siehe auch https://paris-luttes.info/appel-a-une-solidarite-11457?lang=fr)
Zum 9. Protesttag der Gelben Westen am 12.01.2019 kamen nach dem Feiertagstief landesweit wieder mehrere zehntausend Demonstrant*innen (offiziell 84.000) zusammen, die teilweise auch den Straßenverkehr blockierten. Erfreulich ist nicht nur eine eigenständige Mobilisierung von Frauen zu den Protesten, sondern auch die Beteiligung von kleineren Basisgewerkschaften.
Die Führung der staatskommunistischen Gewerkschaft CGT hingegen sucht jede Gelegenheit, um sich von den teilweise gewaltförmigen Aktionen der ideologisch diffusen Gelbwesten zu distanzieren. Wie die anarchosyndikalistische CNT-IAA Toulouse berichtet, hat CGT-Chef Philippe Martinez in einem Interview betont, dass es keine Unterstützung für Leute gebe, die die Sozialversicherung abschaffen wollten – was die Gelbwesten allerdings auch garnicht fordern. Da die soziale Bewegung bisher (außer einigen prominent gewordenen Mitgliedern) bewußt keine offiziellen Sprecher*innen hat, fällt es leicht, die lose Struktur der Gelben Westen für politische Zwecke zu missbrauchen und Falschmeldungen zu verbreiten.
Aus mehreren lokalen Initiativen, wie Commercy und Montreuil, kommen jedoch per Video neue Vorschläge, dass sich die Protestbewegung besser vernetzten sollte, um mittels lokalen Vollversammlungen und öffentlichen Delegiertentreffen auch überregional Kontakte aufzubauen, um sich nicht nur über kommerzielle Internetmedien zu verabreden und auszutauschen. Am letzen Januarwochenende wollen sie sich erstmalig in diesem Sinne versammeln, um eine „Kommune der Kommunen“ zu gründen.
Hintergrundinfos:
„Frankreich: Aufstand der Gelben Westen“,
in: Anarchosyndikalismus international, Nr. 6, Winter 2018