Genossinnen und Genossen,
Die Absicht dieser Mitteilung ist es euch kurz darüber zu informieren, was in den letzten Tage in Griechenland geschah. Außerdem möchten wir an alle Anarchist/innen weltweit einen internationalen Solidaritätsaufruf richten.
Griechenland ist an derzeit an einem kritischen Wendepunkt angelangt. Viele kritische Veränderungen finden auf gesellschaftlicher sowie politischer und wirtschaftlicher Ebene statt. Die Desintegration und Auflösung eines bislang dominanten Modells von Macht und Ausbeutung ist mehr als offensichtlich, So ist definiert, was allgemein „Krise“ genannt wird.
Was wir jetzt erfahren ist das vollständige Scheitern eines Systems, das nicht mehr länger in der Lage ist den gesellschaftlichen Grundkonsens sicher zu stellen und deshalb einen bedingungslosen Frontalangriff – ohne die typischen offiziellen Erklärungen – erleidet. Zunächst: Zu Beginn dieser Situation, die „Krise“ genannt wurde, bezog sich der Angriff auf die materiellen Bedingungen. Hierunter fallen z.B. die Entwertung der Arbeit, horizontale Lohnsenkungen, „Flexibilisierung“ der Arbeitsbedingungen, die Institutionalisierung der Unsicherheit, der Preisanstieg bei Konsumgütern und öffentlichen Dienstleistungen sowie Kürzungen bei der Sozialhilfe. Einhergehend mit dem Verkauf öffentlichen Vermögens an private Individuen, einer ausgedehnten Polizeipräsenz auf den Straßen, den Auktionen, sowie dem Anstieg der Arbeitslosigkeit.
Außerdem wurde eine beispiellose Propagandattacke lanciert. Die durch Staat und Kapital kontrollierten Massenmedien entfachten eine atemberaubende Zahl von Katastrophenmeldungen und Desasterszenarien und produzieren im Rahmen ihrer Berichterstattung ständig neue „Meilensteine“, wie: „Wenn die Troika nicht die nächste Ratenzahlung der Schulden zustimmt, werden wir auseinanderfallen…“ Mit diesen Strategien, schafft es der kommunikative Mechanismus der Macht kontinuierlich einen Zustand von Terror aufrechtzuerhalten, der die Lähmung der Gesellschaft durch Erpressung bewirkt.
Jedoch hat für einen Teil der griechischen Gesellschaft und des Proletariats der Widerstand niemals aufgehört zu existieren. Von Zeit zu Zeit finden in unterschiedlicher Intensität Generalstreiks statt, an denen sich Menschen beteiligen, die aktiv Widerstand leisten und ihren Willen ausdrücken, gegen die von Staat und Kapital auferlegten Zustände zu kämpfen.
Auf der Generalstreiksdemo am 11. Mai in Athen marschierten abermals Tausende und verliehen ihrer Opposition gegenüber den unsozialen Maßnahmen des griechischen Staates ihre Stimme – Maßnahmen, die die ArbeiterInnen und die Mehrheit der Menschen betreffen. Während der größte Teil der Protestierenden am Parlament vorbei gegangen und bereits wieder auf dem Rückweg war, griffen die Bullen ohne provoziert worden zu sein, mit sehr großer Brutalität die radikalsten Demoblöcke von AnarchistInnen und Antiautoritären,
Nachbarschaftsversammlungen, Basisgewerkschaften, außerparlamentarischen Linke an. Sie schlugen mit beispielloser Rohheit zu und feuerten Unmengen von Tränengas bis diese Blöcke aufgelöst waren. Mehr als einhundert Demonstrant/innen mussten ins Krankenhaus gebracht werden, einige mussten operiert werden.
Unser Genosse Yannis war der Demonstrant, der sich im Augenblick im kritischsten Gesundheitszustand befindet. Er hatte einen mörderischen Angriff durch die Bullen erlitten, der ein schweres Kopftrauma zur Folge hatte. Laut einem später veröffentlichen Bericht wurde Yannis im Zustand des „ante mortem“ (vor dem Tod) ins Krankenhaus gebracht. Nach Feststellung der Ärzte musste er aufgrund des Umfangs der inneren Blutungen
im Kopf sofort operiert werden; er wird seitdem auf der Intensivstation intubiert. Sein Zustand ist immer noch kritisch, aber stabil.
Es ist offensichtlich, dass diese mörderischen Angriffe gegen Demonstrant/innen am Mittwoch, den 11. Mai einem einzigen Zweck hatten: All die einzuschüchtern, die gegen die Angriffe von Staat und Kapital Widerstand leisten. Ziel war die Unterwerfung der Leute mit der Botschaft: „Bleibt zuhause, ruhig und diszipliniert!“
An dieser Methode der Herrschenden beteiligen sich immer mehr Rechtsradikale und/oder ihre para-staatlichen Ableger. Der Ausbruch rassistischer Gewalt vervielfacht sich über das ganze Land und erreichte letzte Woche, angesichts eines kaltblütigen Mordes an einen Bewohner im Zentrum von Athen, den Höhepunkt. Viele Migrant/innen wurden zum Ziel und ein Pogrom gegen Migrant/innen wurde entfacht. Gruppen organisierter und/oder unabhängiger Faschist/innen, Rassist/innen und Anhänger/innen der extremen Rechten griffen Migrant/innen an und verletzten mehrere, während der Tod eines Flüchtlings wohl auch durch sie verursacht wurde.
Gleichzeitig griffen Neonazis an der Seite der Polizei auch besetzte Häuser in der Innenstadt an. Das führte dazu, dass wir Anarchist/innen uns selbst unter Lebensgefahr gegen Polizei und faschistische Brutalität verteidigen mussten. Der Ernst der Situation ist deutlich. Seitdem die Gesellschaft einen beispiellosen Angriff auf materielle Dinge erleidet, befindet sich die anarchistische Szene – als eine der radikalsten Teile – unter polizeilicher und faschistischer Attacke (im wahrsten Sinne des Wortes, wenn man die mörderische rasende Wut dieser Angriffe betrachtet).
Da ist der Grund, warum wir dringend zur internationalen Solidarität aufrufen!
Solidarität war immer eine der besonderen Werte von AnarchistInnen. Wir zählen immer auf Solidarität zur Unterstützung unsere Kampfes, der darin besteht sich gegen die Isolation und die Gefahr eines Rückzugs ins private Leben (gefördert durch die Staatsmacht), sowie die kapitalistischen Zustände von Individuation und den Abbau der kollektiven Idee zu wehren.
Jetzt, wo die griechische Gesellschaft und das Proletariat eine beispiellose Verschlechterung der Lebensbedingung erleidet, jetzt wo Anarchist/innen sich unter solch einer Unterdrückung befinden, die aktuell die Dimensionen des versuchten Mordes annimmt; jetzt, wo das anarchistische, politische Umfeld im Visier von staatlicher Gewalt und faschistischer Gefahr steht, rufen wir alle unsere Genoss/innen in der ganzen Welt zu Aktionen auf. Und wir bitten darum, solidarisch zu unserem Kampf zu stehen: durch Organisation von Veranstaltungen, Demonstrationen, Märschen, Protesten, dem Verfassen von Texten, durch Worte und Aktionen. Alles, was die Genoss/innen am angebrachtesten halten – jeder mögliche Ausdruck der revolutionären Solidarität, den nur Anarchist/innen kennen und demonstrieren wollen, vitalisiert unseren Geist und stärkt unsere Kämpfe.
Solidarische Grüße,
Gruppe der libertären Kommunist/innen (Athen)
Eutopia – Beitrag für den libertären Kommunalismus
Quelle: http://de.contrainfo.espiv.net