Das Wiener Arbeiter*innen-Syndikat (WAS-IAA) hat aktuelle Nachrichten zu dem seit Jahren andauernden Arbeitskampf mit dem Wiener „Cafe Gagarin“ veröffentlicht:
Das Cafe Gagarin existiert nicht mehr
Offenbar an den eigenen Widersprüchen zugrunde gegangen, wurde das Cafe Gagarin, mit dem wir uns seit dem Jahr 2022 in einem Arbeitskampf befunden haben, nun an eine andere kommerzielle Unternehmerin übergeben.
Das Jahr 2024 endete auch damit, daß das Cafe Gagarin, das sich weiterhin geweigert hat, das Vergleichsangebot unserer Genossin, welches nur rund 20% ihrer Ansprüche gewesen wäre, anzuerkennen, zugesperrt hat.
Die Widersprüche traten anscheinend immer mehr zu Tage und seit Mitte des Jahres gab es ein sehr verkürztes Statement des Betriebes, in dem Lockdowns und Teuerung als Gründe genannt wurden, aber auch daß „Vor allem aber (…) zu viel Aufgaben und Verantwortung auf zu wenigen Schultern zu Lasten gekommen (ist)“. Was ist da intern im „alternativen Cafe“ passiert? Für uns klingt das danach, daß dann doch das ganze „Projekt“ mehr auf Coolness und Adabei aufgebaut war, anstatt einen Betrieb legal und gleichberechtigt zu organisieren und die unglaublichen Mißachtungen der arbeitsrechtlichen Minimalstandards zu beenden, oder gar sich eine Form eines Kollektivbetriebes zu überlegen, wo die ArbeiterInnen nicht schlimmer als in jeder x-beliebigen kommerziellen Bude ausgebeutet werden.
Auch klingt dieses Statement danach, daß die Hierarchien dann doch nicht so flach waren, wie vom Gagarin immer behauptet und andererseits viele „Kollektivmitglieder“ auch keinen Bock gehabt haben, Verantwortung zu übernehmen. Sei dies nun, weil sie mit autonomem Habitus doch kein Interesse an Verpflichtungen hatten, oder weil sie doch nur normale HacklerInnen waren, die sich das Unternehmerische Risiko sinnvoller Weise nicht umhängen lassen wollten…
Das Café hat jedenfalls bis zum Ende unserer Genossin keinerlei Anteil ihrer mindestens 28.000 Euro offenen Lohn-Ansprüche gezahlt! Zuerst hat man versucht, alles auszusitzen und dann lieber das Café in den Sand gesetzt, als sich mit den Widersprüchen einen Betrieb im Kapitalismus zu führen, nachhaltig auseinanderzusetzen.
Bis heute wurde weniger, als im Kollektivvertrag vorgegeben, bezahlt, es gab keinen Urlaub, es gab keine Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall, es blieben die zwangsweisen Corona-Absonderungen unbezahlt, es wurden die halben Gehälter schwarz ausbezahlt und dadurch die Sozialversicherung vorenthalten, was sogar zu Gefährdung der Aufenthaltsbewilligungen für EU-BürgerInnen geführt hat, da diese ja nur „geringfügig“ gearbeitet hätten und sich nicht selber erhalten würden, das Trinkgeld mußte abgegeben werden usw. usf.
Dazu kamen all die unglaublichen Vorgänge, die in Teilen der Wiener „Linken“ nicht kritisiert wurden, wie: patriarchale und hierarchische Strukturen, anwaltliche Aufforderungen Kundgebungen zu unterlassen, Versuche sich mit anderen Betrieben gegen die Gewerkschaft zu vernetzen, Anwaltsschreiben, daß wir öffentliche Informationen löschen sollen, Kollaboration mit der Wirtschaftskammer uvm.
Mit Ende Dezember wurde das Gagarin nun zugesperrt und übergeben. Wir können nur sagen, daß es nicht schade darum ist, wenn so ein Betrieb nach zwölf Jahren nicht bereit ist die minimalen – über 150 Jahre blutig erkämpften – bürgerlichen Arbeitsrechte einzuhalten, und es dort dermaßen wenig Klassenbewußtsein gab.
Das WAS hatte immer so agiert, daß der Betrieb nicht gefährdet ist. Umso spannender, daß die Leute vom Gagarin ihren Betrieb lieber selber liquidiert haben, anstatt Lösungen zu finden.
Unseres Wissens nach sind alle Behörden schlußendlich von dritter Seite, über die ganzen arbeitsrechtlichen Mißstände sowie steuerlichen und sozialversicherungsrechtlichen Hinterziehungen des Betriebes kurz vor dem Zusperren, informiert worden.
Unsere Genossin lebt leider nicht mehr in Österreich. Wir beenden also die Kampagne gegen das Gagarin mit dessen Verschwinden. Allen Ausbeutungsstrukturen, die glauben eine Basisgewerkschaft nicht ernst nehmen zu müssen, sei diese Episode aus Wien eine Mahnung. Wir werden immer auf der Seite der Lohnabhängigen, konsequent und dauerhaft gemeinsam kämpfen, bis eine Lösung erreicht ist. In diesem Fall war es Verbrannte Erde durch das Gagarin, welches nun nicht mehr existiert. Als WAS werden wir die Selbstorganisierung von uns ArbeiterInnen weiter vorantreiben, auch wenn es sich um „alternative Betriebe“ handelt, die sich vormachen, kein Teil des Kapitalismus zu sein.
Quelle:
https://wiensyndikat.wordpress.com/2025/01/08/das-cafe-gagarin-existiert-nicht-mehr/
Hintergründe:
„Österreich: Union Busting beim Cafe Gagarin“ (2022)
https://anarchosyndikalismus.blackblogs.org/2022/08/15/oesterreich-union-busting-beim-cafe-gagarin/
„Österreich: Arbeitskämpfe in Wiener Bäckerei und Cafe“ (2022)
https://anarchosyndikalismus.blackblogs.org/2022/05/19/oesterreich-arbeitskaempfe-in-wiener-baeckerei-und-cafe/
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