Der 28. Kongress der Internationalen Arbeiter*innen-Assoziation

Vom 09.-11. Dezember 2022 fand in Alcoy (Spanien) der 28. IAA-Kongress statt. Eine Gruppe von Delegierten und Beobachter*innen der ZSP-IAA [aus Polen] nahm an dem Kongress teil, mit dem das 100-jährige Bestehen der Internationalen Arbeiter*innen-Assoziation gefeiert wurde. Hier ein Bericht:

Der IAA-Kongress findet alle drei Jahre statt und der letzte wurde 2019 in Melbourne (Australien) abgehalten. Dort wurde beschlossen, den Jahrhundert-Kongress in Spanien stattfinden zu lassen – auf Einladung der spanischen Sektion, der CNT-IAA. Die Genoss*innen in Spanien wählten die Stadt Alcoy als Ort für die Feierlichkeiten aus. Diese Entscheidung war bedeutsam, wie wir später genauer ausführen werden, und Alcoy stellte sich als ein ausgezeichneter Platz für die Durchführung unseres Kongresses heraus.

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Die Delegationen kamen aus den meisten der IAA-Sektionen, obwohl es ein paar Abgesandten nicht erlaubt wurde in den Schengen-Raum einzureisen. Wir wurden von den Gastgeber*innen, die zudem eine Reihe von Begleitveranstaltungen zum Kongress organisiert hatten, mit größter Kameradschaftlichkeit und außerordentlicher Gastfreundlichkeit in Spanien aufgenommen.

Im Vorfeld der Versammlung gab es Konzerte, Buchvorstellungen und einen Stadtrundgang mit historischen Informationen über die Petroleum-Revolution. Wer diese noch nicht kennt: Als 1873 die Mitglieder der spanischen Regionalföderation der Internationalen Arbeiter*innen-Assoziation einen Aufstand angeführt haben und eine Zeitlang die Stadt übernahmen, bevor sie brutal unterdrückt wurden, war dies ein sehr bedeutendes Ereignis in der Geschichte der Arbeiter*innen. Solche Begebenheiten sind Teil des reichen Erbes der libertären Arbeiter*bewegung in Spanien, welche schließlich im Jahr 1910 zur Gründung der [Gewerkschaftsföderation] CNT führten.

Wir üblich, war die Tagesordnung des Kongresses recht umfangreich und enthielt viele Punkte. Die Themen betrafen beispielweise die Verbesserung der internen Funktionen der Internationale, die Aufnahme neuer Mitglieder in die Föderation, die Gründung und/oder Vorstellung von Arbeitsgruppen und praktischen Projekten, sowie Diskussionen, Rotation der Aufgaben und mehr.

Einer der ersten Punkte auf der Agenda bezog sich auf die Mitgliedschaft und wir können erfreut mitteilen, dass unsere Genoss*innen von „Organize!“ aus Irland als Freunde der IAA beigetreten sind. Wir freuen uns auf eine fruchtbare Zusammenarbeit!

Was die internen Angelegenheiten betrifft, so waren einige sehr technischer Natur und für außenstehende Leser*innen nicht wirklich interessant. Jedoch können wir ein paar spannende Punkte festhalten: Die Teilnahme von Sektionen und Freund*innen der IAA von außerhalb Europas ist ausdrücklich erwähnenswert. In den letzten Jahren, besonders nach den internen Spaltungen vor einiger Zeit, ist es uns gelungen die Mitgliederzahl in Asien und Südamerika zu erhöhen und viele bedeutende Kontakte in diesen Regionen zu knüpfen.

Angesichts dessen gab es eine überwältigende Unterstützung dafür, unseren nächsten Kongress in Indonesien abzuhalten, wo hoffentlich mehr Leute aus dieser Region teilnehmen können. Dies ist eine höchst willkommene Entwicklung der IAA und wir freuen uns darauf, die Internationale in diese Richtung zu erweitern. Während des Kongresses war es außerordentlich wertvoll, diese Sichtweisen kennen zu lernen.

Eine der interessantesten Diskussion wurde über die Tätigkeit der Arbeitsgruppe zum Klimawandel und zur Diskussion von praktischen Aktionen in diesem Bereich geführt. Es stellte sich heraus, dass unsere Genoss*innen in Pakistan, Indonesien und Kolumbien wirklich viel zu dem Thema beitragen konnten. Wir waren alle ausgesprochen begeistert von dem Bericht der WSF [Workers’ Solidarity Federation] über ihre Arbeit nach den massiven Überschwemmungen in Pakistan. Und, wie die Arbeiter*innen sich der Selbstorganisation zugewandt haben, angesichts der Krise und mangelhaften (wenn überhaupt) Reaktion der Regierung. Wir erfuhren außerdem von den Genoss*innen der PPAS [aus Indonesien] über ihren Aufbau eines Projektes der selbstversorgenden ökologischen Landwirtschaft. Diese Berichte waren für alle Zuhörer*innen sehr anregend!

Eine andere wichtige Arbeitsgruppe war gegründet worden, um neueren und kleineren Organisationen dabei zu helfen, ihre ersten Konflikte am Arbeitsplatz durchzuführen, indem ihnen zahlreiche Ratschläge von erfahrenen Gewerkschaften gegeben werden. Unterschiedliche Projekte zur Unterstütung unserer Organisationen beim Training von betrieblichen Organisator*innen und zur Erhöhung ihrer Aktivitäten am Arbeitsplatz waren bereits auf unseren letzten beiden Kongressen beschlossen worden. Und diese AG hat auch eine Art Beratungsbroschüre herausgegeben, welche ebenfalls auf dem Kongress vorgestellt wurde.

A propos Arbeitsgruppen: Eine neue AG wurde eingerichtet, um das Externe Bulletin der IAA wieder zu beleben, welches leider seit geraumer Zeit nicht mehr erschienen ist. Das Rundschreiben wurde vormals vom IAA-Sekretariat editiert, das aber offensichtlich zu viele Aufgaben übertragen bekommen hat. Die Arbeitsgruppe wird daher einen Teil dieser Tätigkeiten dezentralisieren und hoffentlich die internationale Zusammenarbeit verbessern.

Der Verlauf des Kongresses selbst war relativ glatt und es gelang, zu allen Tagesordnungspunkten auch Vereinbarungen zu treffen. Trotz der großen Anzahl von anwesenden Delegierten und den unvermeidlichen Meinungsverschiedenheiten bezüglich einiger Punkte, gab es ein hohes Maß an Übereinstimmung bezüglich einiger wichtiger Angelegenheiten.

Wir haben auch eine interessante Erfahrung mit einer technischen Lösung gemacht, die wir auf der Konferenz verwendet haben. Denn diese wurde als Videostream gesendet, damit sowohl die große Menge von Beobachter*innen zuschauen konnte, als auch für die delegierten Genoss*innen, denen es aufgrund von Reisebeschränkungen, Gesundheitsproblemen oder anderen Gründen nicht möglich war anwesend zu sein. So konnten sie wenigstens virtuell daran teilnehmen.

Die virtuellen Teilnehmer*innen konnten jedoch nicht hunderte von Büchern, Zeitschriften und anderen auf dem Kongress ausgestellten Sachen ansehen. Dies war eine gute Gelegenheit, diese Publikationen aus aller Welt kennen zu lernen. Sie haben auch die Aufführungen verpasst, welche abends gezeigt wurden, wie die „Puppenspieler*innen von Unten“ oder das mitreißende Theaterspiel von „Wir Namenlosen“.

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Eine weitere Sache, die erwähnt werden sollte, ist unsere bevorstehende Kampagne zur Verteidigung der Genoss*innen der CNT-IAA. Der Kongress hat beschlossen, eine internationale Kampagne zu starten, wegen der skandalösen Gerichtsverfahren, welche die Leute von jener Gewerkschaft, die sich von der CNT-IAA abgespalten hat, gegen unsere Genoss*innen bereits vor Jahren eingereicht haben. Die nennen sich nun selbst CNT-IKA, aber wir werden sie in Folgenden als Spanische Sektion der IKA bezeichnen [Internationale Konföderation der Arbeiter*innen, englisch: ICL, spanisch: CIT], denn wir können diese Leute nicht als legitime Nachfolger*innen einer libertären Organisation anerkennen.

Diejenigen, welche Mitglied in der Spanischen Sektion der IKA sind, haben erfolglos versucht, die Kontrolle über die Internationale Arbeiter*innen-Assoziation zu übernehmen, teilweise durch politische Säuberungen innerhalb der CNT-IAA. Nachdem sie damit keinen Erfolg hatten, haben sie eine neue internationale Organisation gegründet, aber die CNT-IAA ist in der IAA geblieben. Bereits vor diesen Ereignissen hatten die von der Spanischen Sektion der IKA versucht, das Eigentum und den Namen der Gewerkschaften der CNT-IAA zu übernehmen, meist indem sie diese Gewerkschaften aufgelöst und rausgeworfen haben. Jene, die sie nicht mit Gewalt auflösen konnten, haben sie mit zahlreichen Gerichtsverfahren überzogen, bei denen es zusammen um mehr als eine Million Euro geht und wodurch der Verkauf vieler Gebäude droht.

Die IAA widerspricht auf Schärfste diesen skandalösen Versuchen, die CNT-IAA zu schwächen und das anarchosyndikalistische Erbe dieser Organisation in vielen Städten in ganz Spanien auszulöschen. Zudem drohen wegen dieser Gerichtsverfahren einer Reihe von Genoss*innen nun Gefängnisstrafen, in einigen Fällen wird sogar ausdrücklich deren Inhaftierung gefordert. Die Sektionen der IAA werden eine internationale Kampagne starten, sowohl gegen die Spanische Sektion der IKA, wie gegen ihresgleichen, welche sich entschieden haben, diese Vorgänge auszublenden und weiterhin behaupten, sie würden freiheitliche Prinzipien haben.

Ein besonderes Beispiel für die widerliche Morallosigkeit dieser Angelegenheit ist gerade die Situation der Gewerkschaft in Alcoy. Denn die Gewerkschaften dieser Region wollten lieber in einer Konföderation von genossenschaftlichen Gewerkschaften sein und sich nicht den eher vertikalen Strukturen in größeren Städteregionen unterordnen lassen, zumal sie zu den Prinzipien der Internationalen Arbeiter*innen-Assoziation stehen. Als den neuen Anführer*innen der Spanischen Sektion der IKA dies klar geworden war, beschlossen sie, dass es ihnen mehr Profit bringt, wenn sie diese funktionierenden Gewerkschaften auflösen und ihre Räumlichkeiten verkaufen würden. In der Region kam es daraufhin zu Säuberungsaktionen, um sowohl die Abstimmungsmacht, wie auch das Kapital bei der dienstleistungsorientierten Gewerkschaft in Valencia zu konzentrieren.

Die Gewerkschaft in Alcoy hatte zu dieser Zeit etwa 40 Mitglieder, von denen einige seit über 50 Jahren aktiv waren – trotz der Franco-Diktatur – wofür einige bereits im Gefängnis saßen. Die ehemaligen Räumlichkeiten der Gewerkschaft in Alcoy waren sogar der Hauptsitz der Spanischen Sektion der Ersten Internationale und daher bereits seit mehr als einem halben Jahrhundert vor Gründung der IAA in eigenem Besitz. Als das Gebäude in einem so schlechten Zustand war, dass es abgerissen werden musste, hatten die Genoss*innen vor Ort dafür gesorgt, dass die CNT-IAA sich neue Räumlichkeiten sichern konnte. Das alte Gebäude war also älter als das Erbe der CNT und das neue Haus wurde nur deshalb ihr „Eigentum“, weil die Leute, welche den Großteil ihres Lebens dort aktiv in der Organisation verbracht haben, dies als ihr kollektives Projekt angesehen haben.

Sie hätten sich nicht vorstellen können, dass es in der Konföderation mal Leute geben könnte, die versuchen würden sie rauszuschmeißen und ihren Besitz zu verkaufen, um an mehr Macht und Geld zu gelangen. Dennoch haben die genau das versucht und als die Genoss*innen in Alcoy sich weigerten ihre jahrelang selbstorganisierten und in Eigenverantwortung betriebenen Räume aufzugeben, wurden sie durch Führungsriege der Spanischen Sektion der IKA mit körperlicher Gewalt und Räumung bedroht. Als auch dies nicht funktionierte, wurden gegen sie Gerichtsverfahren eröffnet, die keine*r von ihnen je bezahlen können wird.

Kurz gesagt, viele Genoss*innen in Spanien haben die Franco-Diktatur überlebt und verschiedene staatliche Versuche den Anarchosyndikalismus im Land zu schwächen überstanden, aber dabei leidenschaftlich ihre Ideale aufrecht erhalten. Nur um dann festzustellen, dass ihr Werk nun bedroht wird von Leuten, die Hand in Hand mit dem repressiven Staatsapparat zusammenarbeiten und dabei noch behaupten, sie seien die legitimen Nachfolger*innen eines freiheitlichen Erbes. Man muss sich wundern, wie viele Leute tatsächlich daran glauben, dass der Verkauf von Gebäuden in ganz Spanien, der Kapitaltransfer durch riesige Geldstrafen und das Inhaftieren von ein paar überzeugten Genoss*innen etwas ist, was irgendwie mit den Prinzipien des Anarchosyndikalismus zu vereinbaren wäre.

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Daher war die Wahl von Alcoy als Ort des Kongresses von symbolischer Bedeutung. Nicht nur wegen der Rolle, welche die Stadt in der Geschichte und bei der Entwicklung des Anarchosyndikalismus in Spanien gespielt hat, sondern auch um aufzuzeigen, dass wir all jene unterstützen, die ihr Leben der Weiterführung dieser Tradition gewidmet haben, sogar in den kleinstädtischen und ländlichen Zentren des Landes. Und die jetzt von diesen ekligen Versuchen bedroht werden, sie auszulöschen und die Erträge all ihrer Bemühungen zunichte zu machen.

Zusätzlich zu dem entschiedenen Beschluss diese Kampagne zur Verteidigung der CNT-IAA durchzuführen, haben wir auch beschlossen, weitere energische Aktionen gegen die FAL [Anselmo-Lorenzo-Stiftung] zu starten. Diese Organisation, welche ein legaler Teil der CNT-IAA war, hatte vor über einem Jahrzehnt mehrere Archive der Internationalen Arbeiter*innen-Assoziation erhalten. Doch seitdem verweigert sie den IAA-Mitgliedern den Zugang dazu und haben bereits mehrfach die Aufforderungen zur Rückgabe der Archive ignoriert. Auch dies stellt einen direkten Angriff auf unsere Föderation dar, als Rache für das „Verbrechen“, der Spanischen Sektion der IKA und ihresgleichen nicht die Kontrolle über die IAA überlassen zu haben. Dies ist bereits der zweite Angriff auf die Archive der IAA – der erste wurde von der Regierung Nazi-Deutschlands begangen.

Im Neuen Jahr könnt ihr mehr Informationen dazu bekommen.

Mit dem Jahreswechsel wird auch der Sitz der IAA verlagert und zum ersten Mal werden die Verantwortungsbereiche aufgeteilt zwischen zwei Kontinenten: einerseits den Genoss*innen der ZSP [in Polen] und andererseits der ASF [Anarcho-Syndicalist Federation] in Australien. Hoffentlich werden dadurch mehr Leute über eine weite räumliche Entfernung in die Organisationstätigkeit der IAA und die Vorbereitung solcher Veranstaltungen, wie dem nächsten Plenum und Kongress, eingebunden.

Wir sind der Meinung, dass trotz der ernsten Lage, in der sich unsere Genoss*innen in Spanien befinden, der Kongress allgemein gut verlaufen ist. Und wir hoffen, dass die Delegierten mit positiven Eindrücken nach Hause zurückkehren konnten. Wir freuen uns darauf, weiterhin gute Nachrichten zu bekommen und dass die neuen (und alten) Genoss*innen sich weiter entwickeln.

Quelle: https://zsp.net.pl/28th-congress-international-workers-association

Übersetzung: ASN Köln, https://asnkoeln.wordpress.com/ (Creative Commons: BY-NC)

Weitere Kongressberichte (en):