Frankreich: Kritik am Gesundheitspass

Folgender Artikel erschien im Magazin der CNT-IAA Toulouse (September 2021) unter dem Titel „Covid-19 und die Glücksbärchis“:

„Bereits seit einigen Wochen erleben wir eine Reihe von Demonstrationen in den Straßen der französischen Städte gegen das Projekt des Gesundheitspasses. Ohne „Sesam-öffne-dich“ ist es heute nicht mehr möglich, auf der Terrasse eines Bistros einen Kaffee zu trinken, in einen bestimmten Supermarkt zu gehen, in ein Restaurant zu gehen, Sport zu treiben oder sich sogar in ein Krankenhaus zu begeben.

Es ist klar, dass der Staat mit dieser skandalösen Maßnahme zwei Kategorien von Bürgern schafft, nämlich diejenigen, die geimpft sind (die Guten und die Gemeinschaftssinn haben), und diejenigen, die nicht geimpft sind. Geimpften (die Bösen, Mörder, egoistisch und zynisch). So ist die französische Gesellschaft in zwei Teile geteilt, wie in der Welt der Glücksbärchis.1

Man muss sehen, dass sie als Propagandamittel für den Impfstoff und den Gesundheitsausweis das Paket hineinlegen, man braucht nur die [Fernsehstation] BFM TV und Konsorten zu sehen, die nicht zögern, die Anti-Gesundheitspass-Demonstranten wie niederträchtige Verschwörer zu behandeln.

Mit dem „Verschwörungswahn“ haben sie dort einen super-praktischen Begriff für jeden gefunden, der ihre Meinung in Frage stellen könnte und der diese skandalöse soziale Kontrolle, die immerhin gesellschaftlicher Ausgrenzung gleichkommt, nicht als gesegnetes Ja-Sagen akzeptieren kann!

Denn Verschwörungstheorien gibt es ja tatsächlich, die überall im Netz wimmeln. Aber es gibt auch die wahren Verschwörungen, derer die Staaten sich selten rühmen. Wir müssen feststellen, dass diese Epidemie eine einmalige Gelegenheit für die Regierung und die Bourgeoisie war, uns mit Erpressung am Arbeitsplatz und mit mehr oder weniger ungerechtfertigten Entlassungen unter Druck zu setzen. Heute kann man entlassen werden, nur weil man nicht geimpft ist!

Es ist kein Zufall, dass ein Teil der französischen Bourgeoisie und insbesondere ein bestimmtes Unternehmertum, dessen Führer Pierre Gattaz [Präsident des Arbeitgeberverbands MEDEF] ist, in seliger Bewunderung für die kapitalistische Wirtschaft Chinas ist. Die Zeit des Kalten Krieges, in der der Westen scheinbar die «kommunistischen» Polizeiregime in Osteuropa und im Fernen Osten anzweifelte, ist weit entfernt. Dies beweist, dass die Opposition der «westlichen Demokratien» gegen totalitäre Regime in Wirklichkeit nur eine Scheinopposition ist.

In China und Südkorea sind die Technologie zur Gesichtserkennung im Gesundheitswesen und Kreditwesen, sowie das gesellschaftlich weit verbreitete Abhören, quasi Pflicht. In einem sozialen Netzwerk registriert zu sein ist quasi auch Pflicht. Sowie ist es zwingend nötig ein Hightech-Handy zu besitzen, da sonst die Polizei (sowohl in China als auch in Südkorea) auf jemand aufmerksam werden könnte. Es wäre also nicht erstaunlich, dass man sich angesichts der Bewunderung der tollen französischen Demokraten für China und Südkorea fragen könnte, was das eigentliche Ziel des „Gesundheitspass-Manövers“ ist. (Anm. d. Verf. : eine Verschwörung??).

Es wäre auch nicht verwunderlich, wenn das System des Gesundheitspasses darin bestünde, möglichst viele Menschen dazu zu bringen, sich impfen zu lassen, nur um die Volkswirtschaft zu retten und wieder anzukurbeln. Egal, ob der Impfstoff sich als unwirksam erweisen sollte, auch wenn es offiziell zum Polizeistaat kommen muss: Das Wichtigste für sie ist, die Wirtschaft wieder anzukurbeln.

Denn für diese Regierung sind die Menschen nur Arbeitskräfte, die zur Verfügung stehen müssen, um die Maschinerie der Wirtschaft zu bedienen. Und nicht, um Urlaub zu machen, sich krank zu melden oder arbeitslos zu sein. Mit dieser COVID-Epidemie machen sich [Präsident] Macron und seine Clique einen Spaß daraus, das ganze Land bis zu den Präsidentschaftswahlen [im April 2022] in Panik zu versetzen. Wenn das tatsächlich so ist, dann wäre das eine lausige Strategie…

Dieser autokratische Versuch von Macron und seinen Freunden ist immerhin etwas Einzigartiges im Leben französischer Politiker*innen. Auch wenn man davon ausgeht, dass die 5. Republik ein System ist, das auf einen anderen selbstzentrierten Autokraten wie [den konservativen Präsidenten] De Gaulle zugeschnitten wurde. Der Gesundheitsausweis ist nur eine weitere Möglichkeit, die Bevölkerung immer weiter kontrollieren zu können durch den zunehmenden Einsatz einer neuen Form der Denunziation durch Technologie. 

So fragt der Kellner eines Cafés nach Ihrem Gesundheitspass, und wenn Sie keinen haben, können Sie nicht nur Ihren Kaffee vergessen, sondern der Kellner des Cafés wird tatsächlich genauso viel Macht haben, das Leben anderer zu kontrollieren und einzudringen, wie ein Polizist. Um die in diesem Teil der Welt lebenden Proletarier zu spalten, sind dadurch alle Grundlagen für eine Diktatur vorhanden. Es besteht kein Zweifel, dass wir schon seit Jahrzehnten alle registriert, kontrolliert und verfolgt werden. Angesichts all unserer Mobiltelefone, Bankkarten, Krankenkassen-Karten und Internet-Einkäufen scheint die „individuelle Freiheit“ inzwischen etwas veraltet.

Dass diese „Freiheit“ in den Gesellschaften, in denen wir leben, nur relativ ist, und dass ein durch und durch demokratischer Staat einen politischen Aktivisten festhalten kann, um ihn an der Demonstration zu hindern, kann objektiv als Willkür bezeichnet werden. Der Gesundheitspass entspricht einem noch größeren Willen zur Kontrolle, um jede Infragestellung des Systems zu verhindern, das von der „Verschwörungstheorie“ bis zum Gefängnis reicht. Die Todesstrafe droht in Bezug auf die Region Frankreich noch nicht. Uff, wir sind beruhigt!“

Quelle:
Anarchosyndicalisme No. 173, Sept-Oct 2021 (CNT-AIT Toulouse), https://cntaittoulouse.lautre.net

Übersetzung: ASN Köln (https://asnkoeln.wordpress.com)

Anmerkung:
1) Kinder-Fernsehserie mit bunten Teddybären, die unterschiedlich Eigenschaften besitzen, welche durch verschiedene Farben und Erkennungszeichen dargestellt werden (https://de.wikipedia.org/wiki/Die_Glücksbärchis)