Wie ein Teil der libertären Bewegung bereits erfahren hat, befindet sich die CNT-IAA seit einigen Jahren im Würgegriff einer Organisation, die sich als anarchosyndikalistisch bezeichnet und sich ebenfalls CNT [Confederación Nacional del Trabajo] nennt.
Diejenigen anarchistischen Einzelpersonen und Gruppierungen, die dem Anarchosyndikalismus emotional nicht nahe stehen, nehmen diese Situation mit Argwohn, Skepsis und sogar einer gewissen Ironie wahr. Sie sehen es für absolut dekadent und lächerlich an, dass es im spanischen Staat zwei CNTs gäbe, die aus einer „Spaltung“ entstanden wären und jetzt unversöhnlich seien. Und die zudem noch einen „Kampf um Abkürzungen“ führen würden, in der beide um die historische Bezeichnung ringen und damit die wirklichen sozialen und politischen Probleme übersehen, mit denen Anarchismus und Anarchosyndikalismus sich beschäftigen sollten.
Wir sehen es jedoch als wichtig an, diese Vorstellung eines angeblichen Kampfes um Abkürzungen zu widerlegen und zu erklären, was im Inneren des Anarchosyndikalismus im spanischen Staat und auf internationaler Ebene vor sich geht. Da wir aber versuchen, die Lesenden nicht mit Details zu belasten, haben wir es vermieden, genauestens alle Übergriffe und den Missbrauch von Statuten und Regelungen, sowie Bedrohungen, Bestechungen und Aggressionen, die in den letzten Jahren begangen wurden aufzulisten. Wir wollen hier nur über die zentralen Fragen sprechen, ohne ins Detail zu gehen. Wir sind uns aber bewusst, dass wir noch daran arbeiten müssen, all diese beschämenden und unerträglichen Verhaltensweisen offenzulegen.
Es geht hier also nicht darum, die Lesenden mit einer Welle von Fakten, Daten und Namen zu überfluten, obwohl es eine Menge schriftliche Belege gibt, die von Anfang mehr oder weniger detailliert aufzeigen, was vorgefallen ist. Dieses Material wird noch zusammengestellt und allen, die Interesse daran haben, zugänglich gemacht werden. Die Absicht der vorliegenden Erklärung liegt darin, die gegenwärtige anarchistische Bewegung über die Situation zu informieren und einige Überlegungen anzustellen, dass alle Genoss*innen selbst beurteilen können, was los ist und dazu Stellung nehmen können, wenn sie es für angemessen erachten.
Die CNT-IAA hat ihr Vorgehen immer horizontal [1] und an Versammlungen ausgerichtet, sowohl in ihrer Struktur als Gewerkschaftsbund, wie auch als Sektion der IAA [2]. Das bedeutet, dass die lokalen, regionalen und nationalen Ausschüsse, bloß Gruppen von Genoss*innen sind, welche die Aktivitäten auf verschiedenen Ebenen koordinieren, selbst aber keine Entscheidungsbefugnisse haben, die über die von den Mitgliedern getroffenen Entscheidungen hinausgehen.
Alle Entscheidungen, die in der Konföderation [3] getroffen werden, gehen unmittelbar von der Basis der einzelnen Syndikate [4] aus und von dort weiter bis auf die landesweite Ebene. Um dies zu erreichen, müssen alle Militanten [5] der CNT-IAA über alles informiert sein und an allem teilnehmen können, was auf konföderaler Ebene geschieht (bzw. sie werden durch die eigenen Statuten dazu ermutigt und bestärkt). Wären die Komitees diejenigen, welche die Entscheidungen für den Rest der Gewerkschaften und Mitglieder treffen würden, hätten wir es mit einer vertikalen [6] und autoritären Struktur zu tun, die nichts mit der Horizontalität und der Nichtdelegation als Prinzipien des Anarchismus und Anarchosyndikalismus zu tun hat.
Darin liegt eine der Hauptfragen der gegenwärtigen bedauerlichen Situation: Das Konföderale Komitee und die Sekretariate der CNT-IAA (als sie noch „eine“ war) haben einseitig und hinter dem Rücken der Syndikate, aus denen die CNT-IAA besteht, die Zahlung der Beiträge an die IAA für etwa zwei Jahre eingestellt, indem sie dieses Geld einfach für solche Zwecke verschwendet, die sie für angebracht hielten.
Diejenigen, welche diese Entscheidung hinter dem Rücken der Konföderation getroffen haben, betrachteten die IAA und ihre Sektionen als zu unbedeutend, als dass es sich lohnen würde, ihr weiter anzugehören. Andererseits begann die CNT© (von jetzt an werden wir sie so nennen und später auch erklären warum) mit anderen Organisationen außerhalb der IAA dann internationale Konferenzen zu veranstalten. Das Ziel war, die Gründung dessen, was später die CIT (Confederación Internacional del Trabajo) [7] sein würde – eine „neue Internationale“, die unserer Ansicht nach kaum libertär [8] geprägt ist. Damit beabsichtigten sie logischerweise, einen Ausschluss aus der IAA zu provozieren.
Aber jenseits dieser vorsätzlichen Handlungen des Konföderalen Komitees der CNT© und einiger Komitees und Sekretariate, welche den Ausschluss aus der IAA verursacht haben, wurde deutlich, dass ein Teil der Militanten aus Unwissenheit oder Gleichgültigkeit all das zugelassen hat, was diese zentralistische und autoritäre Haltung der CNT© hervorgebracht hat. Jene Mitglieder, die sich zu einem neuen Organisationsansatz hingezogen fühlten, welcher mehr auf Ästhetik als auf Ethik ausgerichtet ist. Mehr Marketing als Ideologie und mit größerem Interessen an Beitragszahler*innen als an aktiver Teilnahme. Um alles loszuwerden, was nichts dazu beitrug, einen „exponentiellen Wachstumsplan der Organisation“ [9] durchzusetzen.
Die Gewerkschaften der CNT-IAA sind aber das, was die Mitglieder aus ihnen machen. Aus diesem Grund streben wir Anarchosyndikalist*innen die kämpferische Teilnahme an, also die aktive Beteiligung der Mitglieder an der Arbeit der Organisation, um die ersehnte Verbindung durch gegenseitige Hilfe und Solidarität zu schaffen, welche die Grundlage unseres Kampfes sowohl gegen Autorität, wie auch gegen Passivität sind. Und gegen eine Delegation [10] unserer Befreiung an irgendeine Einrichtung.
Wir sind eine Organisation von Gleichen, in der wir Arbeiter*innen aufeinander angewiesen sind, um unsere Lebensbedingungen zu verbessern und gemeinsam den Weg in die libertäre Zukunft zu beschreiten. Aus diesem Grund bevorzugen wir eine Organisation mit aktiver und bewusster Mitgliedschaft, mit ständiger Weiterbildung und Reflektion.
Aber keine Gewerkschaft, die eine Massenmitgliedschaft (z. B. durch Online-Beitritt) bevorzugt, von der man keine Veränderungsmöglichkeit erwartet, noch nicht einmal die Teilnahme an den Versammlungen – abgesehen von Beitragszahlung und Registrierung, um Mitgliedszahlen aufzublähen und Gelder anzuhäufen). Die Tatsache, dass es in der CNT© eine Führungsspitze gibt, welche Entscheidungen trifft, ohne die Mitglieder informiert oder befragt zu haben, ist sehr aufschlussreich, um zu verstehen, wie eine Organisation, die sich anarchosyndikalistisch nennt, ihre Mitglieder übergeht.
Wir haben auch gesehen, wie innerhalb dieser CNT© die Idee heranwuchs, dass je mehr Mitglieder (nicht jedoch Militante) und Beiträge ein Syndikat, eine Föderation oder eine IAA-Sektion in die Organisation einbringt, desto mehr Autorität und Entscheidungsbefugnis sie haben soll, wenn es darum geht, „Beschlüsse“ (wenn man sie überhaupt so nennen kann) mit ihren Genoss*innen aus anderen Orten oder Regionen zu vereinbaren.
Es erklärt sich von selbst, wie schädlich diese Logik für eine Organisation ist, die auf Solidarität, freier Übereinkunft und antiautoritären Föderalismus basiert. Die Ergebnisse sind bereits absehbar: Das Streben nach hohen Mitgliederzahlen als Möglichkeit, um Stimmen zu erhalten (oder der direkte Kauf von Stimmen durch künstliches Aufblähen der Mitgliedschaft durch gefälschte Beitragszahlungen), sowie ein Zentralismus, welcher den Großstädten gegenüber den kleinen Ortschaften die volle Entscheidungsmacht überlässt.
Dieser zentralistische Autoritarismus hat nichts mit einem anarchistischen Föderalismus zu tun, der auf Solidarität und Konsensfindung beruht. Dies war zweifellos einer der Gründe, welche die CNT© dazu veranlasst haben, die IAA anzugreifen. Unserer Ansicht nach, kann eine Organisation, welche eine Keimzelle für eine freie und anarchistische Gesellschaft sein möchte, ihre Vereinbarungen nicht auf der Unterwerfung des Willens ihrer Genoss*innen gründen.
Wir wollen uns nicht mittels einer Abstimmung durchsetzen, sondern wir wollen eine Meinung, eine Position, eine Übereinstimmung in einer Angelegenheit vermitteln und versuchen, einen Konsens zu erreichen. Abgesehen von dieser absichtlich herbeigeführten Entwicklung, erweist sich jede Entscheidung, die durch Abstimmung, ohne Debatte, ohne Kompromiss und ohne Ausrichtung auf gemeinsame Standpunkte getroffen wird, als konfliktträchtig, denn sie wurde erzwungen und kann dadurch unwiderruflichen Schaden anrichten, was hier auch tatsächlich der Fall ist.
Und was ist das Ergebnis von all dem? Ein Bruch und eine Auseinandersetzung zwischen zwei Organisationen, die bis dahin eine einzige waren: die CNT-IAA. Von dem Moment an, als das zentralistische und autoritäre Vorgehen samt seiner Logik zur Norm wurde, wurden alle Diskussionen und Meinungsverschiedenheiten durch Ausschlüsse in einem nie dagewesenem Ausmaß gelöst. Die Beschlüsse, Statuten und Regelungen wurden der Organisation aufgezwungen, mit dem Ziel, jene Syndikate und Genoss*innen, welche versuchten, dieser alarmierenden Entwicklung entgegenzutreten, zum Schweigen zu bringen, ihren Austritt zu erzwingen oder sie direkt auszuschließen – eine richtige Säuberung.
Seit Beginn dieser Machenschaften des Konföderalen Komitees und seiner Anhänger sind mindestens 30 Syndikate aus der CNT© ausgetreten oder wurden ausgeschlossen. Diejenigen, die in der CNT© verblieben und die Haltung des Konföderalen Komitees kritisierten, wurden ebenfalls ausgeschlossen. Während dieses gesamten Prozesses hat sich herausgestellt, dass die CNT© eine Organisation ist, welche den Dialog mit Genoss*innen ablehnt und sich darauf beschränkt, die Stimmen zu zählen, mit denen sie ihre Beschlüsse durchsetzen kann.
Im Jahr 2015 beschlossen einige dieser Syndikate, aufgrund der peinlichen Lage und wegen ihrer radikalen Ablehnung, des Kurses, den die CNT© einschlug, einen Prozess der Umstrukturierung der CNT-IAA einzuleiten, welcher 2017 mit der Anerkennung dieser Organisation als IAA-Sektion im spanischen Staat gipfelte.
Aber in den Plänen dieser entstellten CNT© ist kein Platz für die Existenz einer CNT-IAA. Da sich 2017 zeigte, dass die Verbundenheit und das Bekenntnis des Anarchosyndikalismus zur IAA nicht nur nicht verschwunden war, sondern die Internationale mit dem Beitritt neuer Gewerkschaften und Sektionen noch im selben Jahr anwuchs und sich festigte, beschloss der Ständige Sekretariär des Konföderalen Komitees der CNT©, Enrique Hoz, wieder einmal ohne Zustimmung der Syndikate und hinter dem Rücken seiner Organisation, einen Anwalt aus Sevilla anzuheuern.
Dieser versuchte mit Mitteln der Konföderatio dann sieben Syndikate der CNT-IAA (gemeinsam mit dem Ateneo Libertario de Albacete) vor den Sozialgerichten sechs verschiedener Provinzen zu verklagen. Der Vorwurf lautet: „Missbräuchliche Verwendung von Abkürzungen und Schädigung des öffentlichen Ansehens“. Die Sozialgerichte der Provinzen erklären sich für nicht zuständig, da sie die sieben beklagten Gewerkschaften als eine Organisationsstruktur auf gesamtstaatlicher Ebene ansahen.
Unzufrieden mit dem von ihnen angerichteten Schaden und angesichts einer CNT-IAA, die weit davon entfernt ist zu verschwinden, sondern nach ihrer Umstrukturierung weiter anwächst, wendete die CNT© sich in der zweiten Hälfte des Jahres 2020 erneut an den Rechtsstaat, um die CNT-IAA zu vernichten, aber diesmal über die Audiencia Nacional [11]. Aufgrund derselben Vorwürfe verlangt sie nun 50. 000 Euro Entschädigung von jedem der sieben Syndikate (sowie von einigen anderen, die noch gar nicht existierten, als es zum Krach kam). Und als ob das noch nicht genug wäre, werden einige Syndikate sogar beschuldigt, ein historisch vererbtes Lokal der CNT© zu besetzen, obwohl sie nicht mal einen eigenen Raum haben und sich daher an anderen Orten außerhalb der Organisation versammeln.
Das ist ihr Ziel: Sich das wenige Vermögen, welches die CNT-IAA noch besitzt, anzueignen und ihre Räumlichkeiten zu übernehmen, um sie zu verkaufen. Damit wollen sie weiterhin die Gebühren und Spesen ihrer Gewerkschaftsfunktionär*innen und Freund*innen, sowie ihre Korruption und alle schändlichen Ausgaben zu finanzieren (was sie teilweise erfolgreich versuchten zu verheimlichen).
Während des gesamten Prozesses, den viele fälschlicherweise als „Kampf um Abkürzungen“ bezeichnen, hat die Habgier und der Mangel an ethischen und anarchistischen Prinzipien seitens der CNT© dazu geführt, dass einige Syndikate sich aufgelöst und gute Genoss*innen aufgegeben haben, während die gewaltigen Anstrengungen vieler Arbeiter*innen, die Organisation und die anarchosyndikalistische Kultur voranzubringen, verworfen und niedergetrampelt wurden.
Am Anfang dieser Erklärung sagten wir, dass es vor weniger als 10 Jahren im spanischen Staat nur eine CNT gab. Und jetzt, im Jahr 2021, sagen wir, dass es immer noch eine einzige und legitime CNT gibt: die CNT-IAA. Wir werden uns gegen diese erbärmlichen Angriffe zur Wehr setzen und unsere Räumlichkeiten, unsere Erinnerungsdokumente und unsere Geschichte nicht hergeben. Aber wir möchten auch festhalten, dass unsere Militanz unser wichtigstes Erbe ist, unser größter Reichtum, und sie wird uns niemals weggenommen oder zerstört werden können. All die Monarchien, Diktaturen, Unterwanderungen und Polizeikräfte haben das nicht geschafft – und auch diese entstellte Organisation wird es nicht schaffen.
Diese hat einen Weg eingeschlagen, der in Richtung einer Dienstleistungsgewerkschaft führt, hin zu einer immer professionelleren, zentralistischen und vertikalen Organisation, welche sich von den Prinzipien des anarchistischen Föderalismus entfernt. Es ist verwundert daher nicht, dass das CNG [12] der CNT© dieser zentralistischen und hierarchischen Sichtweise folgend, so sehr von Image und Marketing besessen ist, dass es beschlossen hat, ihr Logo, ihre Fahne und ihre Abkürzung gesetzlich schützen zu lasssen und vor Gericht einzuklagen (daher das ©opyright). Es scheint fast so, als ob wir es mit einem Unternehmen zu tun hätten und nicht mit einer angeblich anarchosyndikalistischen Organisation.
Wir kämpfen heute und in Zukunft dafür, um uns zu verteidigen, während wir unermüdlich daran arbeiten, die Strukturen der Macht zu untergraben und jene Gesellschaft aufzubauen, die wir uns wünschen. Es ist an der Zeit, das Schweigen zu brechen, damit die anarchistische Bewegung und der Anarchosyndikalismus in allen Regionen der Welt von der Situation der CNT erfährt, welche Mitglied der IAA ist. Es ist an der Zeit, dass alle, einschließlich jener Syndikate und Militanten, welche heute Teil der CNT© sind, nun Farbe bekennen und ihre Gleichgültigkeit ablegen.
Zur Verteidigung des Anarchosyndikalismus, des Internationalismus und des anarchistischen Kampfes! Zur Verteidigung der CNT-IAA!
Quellen:
https://www.cnt-ait.org/cnt-ait-against-all-odds/
https://www.cnt-ait.org/cnt-ait-contra-viento-y-marea/
Erläuterungen:
1) waagerecht; gleichberechtigt; auf gleicher Ebene; ohne Hierarchie
2) Internationale Arbeiter*innen-Assoziation (http://www.iwa-ait.org)
3) verbindlicher Zusammenschluss selbständiger Einheiten, als Bund gemeinsam handelnd
4) Basisgewerkschaften; Arbeiter*innen-Vereinigungen
5) kämpferische, aktive Mitglieder
6) senkrecht; mit ungleicher Machtstruktur; von oben nach unten; hierarchisch
7) Internationale Konföderation der Arbeit (Confederación Internacional del Trabajo)
8) freiheitlich; anarchistisch
9) Ausrichtung auf stark ansteigende Mitgliedszahlen durch Vervielfachung
10) Übertragung; Abordnung; Entsendung
11) Nationaler Gerichtshof
12) Nationales Geschäftskomittee (Comité Nacional de Gestión)
Übersetzung:
Anarcho-Syndikalistisches Netzwerk – ASN Köln,
(https://asnkoeln.wordpress.com / https://anarchosyndikalismus.blackblogs.org)
CC:BY-NC