Die britische Solidarity Federation Liverpool (SF-IAA) hat am 17.02.2021 folgenden Text veröffentlicht:
Im Vereinigten Königreich erlebt jede dritte Frau* und 2,5 % aller Männer* in ihrem Leben häusliche Gewalt. Ein Fünftel der berufstätigen Frauen* musste deswegen eine Auszeit nehmen, doch nur 5% aller Arbeitgeber*innen bieten spezielle Maßnahmen, um häusliche Gewalt zu thematisieren und die Mitarbeiter*innen zu unterstützen.
Momentan wird darüber diskutiert, die entsprechende Gesetzgebung (Domestic Abuse Bill) wegen ihrer Definition von Missbrauch zu überarbeiten. Sie soll nun auch wirtschaftlichen und finanziellen Missbrauch umfassen, um anzuerkennen, dass es den Betroffenen unmöglich ist ihr Geld zu verwalten, solange sie von ihren Missbraucher*innen abhängig sind. Das neue Gesetz mag zwar gut gemeint sein, greift jedoch zu kurz. Wir haben keine Zeit, um auf seine Verabschiedung zu warten. Oder darauf, dass Gelder und Mittel bei den Kommunen ankommen. Eine Auflistung derjenigen, die trotz dieses Gesetzes ungeschützt bleiben, wäre endlos.
Für einige Leute kann eine Flucht aus dem Missbrauch Obdachlosigkeit oder sogar Abschiebung bedeuten. Den Frauen* ohne Zugang zu öffentlichen Fördergeldern (Asylsuchende und Migrant*innen ohne Papiere) wird der Zugang zu Notunterkünften verweigert, wenn sie versuchen ihren Missbraucher*innen zu entfliehen und sie bekommen weder eine Wohnung, noch Hilfsgelder. Die Polizei tauscht zudem alle Informationen über den Migrationsstatus von Opfern mit dem Innenministerium aus, um die Einwanderung zu kontrollieren. Nicht-weiße (black and minority ethnic), migrantische, behinderte, queere (LGBTQIA) und erwerbslose Frauen* sind jetzt und in Zukunft einem höheren Risiko der Vernachlässigung ausgesetzt und werden zudem für ihr Unglück verantwortlich gemacht.
Zudem erschwert eine Mischung aus schlechten Arbeitsbedingungen und Sexismus am Arbeitslatz den Opfern und Überlebenden von Misshandlung den Zugang zu den benötigten Hilfen und Unterstützungsleistungen. Wenn wir also Solidarität am Arbeitsplatz schaffen wollen, so müssen wir uns der Tatsache bewusst sein, dass unsere Kolleg*innen möglicherweise zuhause von Gewalt betroffen sind. Und wir dürfen auch nicht die Anzeichen übersehen, falls ein*e Kolleg*in selbst Missbraucher*in ist.
Es ist unsere Verantwortung, uns zu bilden und zu organisieren, um sicherere Arbeitsplätze zu gestalten. Wenn du in einem gewerkschaftlich organisierten Betrieb arbeitest, so mische dich ein und mache Druck, um bessere Bedingungen durchzusetzen. Frage nach, wie Maßnahmen gegen häusliche Gewalt entsprechend der Gesetze zum Schutz von Frauen* und Mädchen* (VAWG) umgesetzt werden können. Wenn es an deinem Arbeitsplatz keine Gewerkschaft gibt, dann kannst du mit deinen Kolleg*innen diskutieren und dich organisieren, um eure Bedingungen zu verbessern. Macht einen Plan, um Betroffene und Überlebende zu unterstützen, auch damit niemand wegen der erlebten häuslichen Gewalt mit Abmahnungen bestraft wird.
Unterstützung am Arbeitsplatz für Opfer und Überlebende häuslicher Gewalt:
– Glaubt ihnen
– Respektiert ihre Privatsphäre. Vertraulichkeit ist grundlegend, unabhängig von eurem Verhältnis zu diesen Personen. Sprecht nicht ohne ihre Zustimmung mit anderen Kolleg*innen, Freund*innen oder Vorgesetzten über ihr Privatleben.
– Bedenkt, dass eine Flucht aus dem Missbrauch nicht immer möglich ist. Hört zu und unterstützt, aber handelt nicht stellvertretend und meldet nichts, außer diese Personen befindet sich in unmittelbarer Gefahr. Sonst könntest ihr deren Lage noch verschlimmern.
– Helft ihnen mit den Arbeitsaufgaben und springt ein, wenn sie eine Auszeit brauchen. Verratet sie nicht, wenn sie ihre Arbeit nicht erledigt haben.
– Tauscht möglichst Schichten oder Stellen mit ihnen, damit die Missbraucher*innen nicht ihre Arbeitsstrukturen kennen.
– Wenn machbar, geht für sie ans Telefon, um mögliche Anrufe der Missbraucher*innen zu verhindern.
– Bietet an, sie abzuholen und nach Hause mitzunehmen, um Begegnungen mit ihren Missbraucher*innen zu vermeiden.
– Bereitet euch darauf vor, dass die Missbraucher*innen am Arbeitsplatz auftauchen könnten.
– Unterstützt sie aktiv durch Begleitung zu Mitarbeiter*gesprächen und Kranken*gesprächen.
– Wenn es sich bei den Missbraucher*innen um eure Kolleg*innen (oder Chef*innen) handelt, dann verhindert, dass die Betroffenen jemals mit denen alleine sind, und helft bei der Beweissicherung des Missbrauchshandelns.
– Macht gemeinsame Aktionen gegen ungerechte Entlassungen und Strafmaßnahmen.
Fordert Änderungen eurer Arbeitsbedingungen und der Betriebskultur,
um die Betroffenen weiter zu unterstützen:
– Flexible Arbeitsbedingungen und angemessener Auftragsumfang bei gleicher Bezahlung
– Bezahlte Auszeit und spezielles Urlaubsgeld, unabhängig vom garantierten Jahresurlaub.
– Wechsel der Arbeitszeiten und -plätze, sowie Wechsel der Telefonnummern/E-Mail-Adressen, um zu verhindern, dass die Missbraucher*innen sie im Betrieb kontaktieren oder aufsuchen.
– Keine Strafmaßnahmen wegen Abwesenheit oder Minderleistung.
– Vorauszahlung von Geldern zur Unterstützung von Überlebenden.
– Sicheren Zugang zu speziellen Hilfsangeboten und Informationen.
– Weiterbildung und Aufklärung zum Thema, um den einstieg in die Hilfe sicher und angemessen zu gestalten.
– Ausarbeitung einer Strategie gegen häusliche Gewalt (Domestic Abuse Policy) samt Sicherheitsplan zur Einrichtung eines Unterstützungsnetzwerks für Opfer und Überlebende
Sexismus und geschlechtliche Gewalt liegt in der Verantwortung von allen. Allein letztes Jahr [2020] waren 2,4 Millionen Erwachsene im Vereinigten Königreich von häuslicher Gewalt betroffen. Schaut euch um und organisiert euch, um das zu ändern.
Falls Du Interesse an einer Organisierung an deinem Arbeitsplatz hast, so bietet die Solidarity Federation eine Reihe von Trainingskursen an, darunter auch Kurse für Frauen*, welche sich am Arbeitsplatz organisieren möchten. Außerdem begrüßen wir alle anonymen Berichte/Beispiele über Erfahrungen mit häuslicher Gewalt, die in den Kursen vorgestellt werden können. Für weitere Informationen schreibt an solfed.training@gmail.com […]
Quelle: http://liverpoolsf.org/domestic-violence-is-a-workplace-issue/
Übersetzung: Anarcho-Syndikalistisches Netzwerk – ASN Köln, https://asnkoeln.wordpress.com, (CC: BY-NC)