Labor Day 2020: Jetzt ist es soweit

Erklärung der Workers’ Solidarity Alliance (WSA):

Vor über hundert Jahren brachte der verängstigte US-Präsident Grover Cleveland den Kongress dazu, im Jahr 1894 den „Labor Day“ als landesweiten Feiertag einzuführen (die September-Ferien waren erstmals 1882 von der New Yorker Central Labor Union durchgesetzt worden). Als Folge des Eisenbahnstreiks bei Pullman, bei dem Arbeiter*innen von US-Marshals und Soldaten erschossen worden waren, sah sich Cleveland gezwungen den Massen ein paar Krumen hinzuwerfen – den Labor Day.

Logo der Workers' Solidarity Federation (WSA)

Das stellte sich als ein kluger Schachzug heraus, denn damit wurde festgelegt, dass der Feiertag [am ersten Montag im September] und nicht am oder nahe beim bereits bestehenden Internationalen Tag der Arbeiter*innen stattfand. Denn am Ersten Mai  gedenken die Arbeiter*innen weltweit eines Ereignisses, welches sich im Herzen der USA ereignete – das Haymarket-Massaker vom 03.Mai 1886. Aus diesem Grund wurde 1889 auf einem internationalen Kongress von Sozialist*innen, Anarchist*innen und radikalen Arbeiter*innen der Maifeiertag beschlossen wurde. Bei dieser Gelegenheit wird oft zum radikalen Wandel und sogar zur Revolution aufgerufen. Daher ist es glasklar, dass dieser Krümel „Labor Day“ die leeren Mägen der Arbeiter*innen nur weiter gereizt hat, denn sie forderten ein besseres Leben. Bis zum heutigen Tag kann die Geschichte dieses Kampfes fortgeschrieben werden und die jüngsten Kapitel geschehen gerade vor unseren Augen.

Im Laufe der Geschichte haben Arbeiter*innen mit ihren Waffen der Solidarität und direkten Aktion ihre Interessen verteidigt und vertreten. Seitdem die ersten Chefs begonnen hatten sie auszubeuten, haben sich Arbeiter*innen mit Streiks, Sabotage, Besetzungen, Sitzblockaden und anderen Aktionen für ihresgleichen engagiert. Und in diesen Kämpfen wurden Arbeiter*innen oftmals alleingelassen und abgeurteilt, vielfach auch von ihren eigenen Gewerkschaftsführer*innen. Sie wurden dabei entmutigt und gezwungen entweder den Kampf selbst weiterzuführen oder vor den Chef*innen zu kapitulieren.

Das Jahr 2020 ist für Arbeiter*innen ein besonders schweres. Das Coronavirus hat viele hart getroffen, die in Bereichen wie Kundendienst, Lebensmittel, Fleischverarbeitung, Landwirtschaft, Einzelhandel, Produktion und Transport arbeiten. Niedriglohn-Arbeiter*innen trifft es besonders hart: Ganze Teile der Wirtschaft, wie die Gastronomie, wurden heruntergefahren oder zerstört. Der Stress für das Personal im Gesundheitswesen stieg bis an die Grenze des Erträglichen, egal ob für schlechtbezahlte private Pflegehilfen und Hauswirtschaftskräfte oder für Krankenpfleger*innen und Ärzt*innen – alle wurden hohen Risiken ausgesetzt. Die Arbeitslosenzahlen sind steil angestiegen und von den Millionen von immernoch Erwerbslosen haben viele bald keinen Versicherungsschutz mehr.

Eltern, vor allem Mütter, sehen sich mit prekären Zuständen in der Kinderbetreuung konfrontiert, da Tagesstätten und Kindergärten geschlossen wurden oder den Zugang eingeschränkt haben, zudem auch ältere Kinder ebenfalls zuhause bleiben müssen. Daher müssen Eltern, vor allem jedoch die Mütter, nun die Kinderbetreuung mit ihrer Arbeit in Einklang bringen oder ihre Arbeitsstunden verringern, damit sie sich um die Kinder verschiedenen Alters kümmern können. Die Unsichtbarkeit der Kinderversorgung wird in dieser Pandemie vielleicht etwas deutlicher erkennbar, doch die unentlohnte und unterbezahlte Pflegearbeit wird immernoch übersehen. Sie droht ein künftiger Kollateralschaden zu werden, da sich diese Probleme durch die Pandemie noch weiter verschärft haben.

„Auf der ganzen Welt leisten Frauen den größten Anteil an unterbezahlter oder komplett unbezahler, soziale Reproduktionsarbeiten – vor allem Arbeiterinnen, farbige Frauen, Migrantinnen und Frauen in ländlichen Gemeinden.“
(Varsity, Cambridge, UK September 2020)

In den letzten sechs Monaten haben Arbeiter*innen oftmals selbstorganisierte Kämpfe für sichere Arbeitsbedingungen und Persönliche Schutzausrüstung geführt, ob in fleischverarbeitenden Betreiben oder in Krankenhäusern. Im ganzen Land sind direkte Aktionen und Mini-Streiks überwiegend (aber nicht ausschließlich) spontan ausgebrochen. Sogar bei dem gewerkschaftlich völlig unorganisierten Konzern „Amazon“ gab es eine Reihe von Arbeitskämpfen und kleinen Aktionen gegen den übermächtigen Zwang zu Produktivität und Leistung. Obwohl sie weder weit verbreitet, noch Streiks im eigentliche Sinne sind, haben die „8:30-Minutenstreiks“, die zur Unterstützung der Kämpfe von Black Lives Matter aufrufen, begrenzte und zugleich deutliche Signale gesendet. Und die Sportsfreund*innen unter uns sollten Respekt zeigen gegenüber jenen Basketball-Spieler*innen, die eine Art wilden Streik gegen den im ganzen Land erstarkten Rassismus und gegen rassistische Morde organisiert haben.

Die Krise der Arbeiter*innen ist jedoch nicht auf den Arbeitsplatz beschränkt. Zig Millionen erwerbslose Arbeiter*innen haben auch mit Mieten, Schulden und Zahlungsunfähigkeit zu kämpfen, ob ganz oder teilweise. Woche um Woche steigt dabei das Risiko, von den Vermieter*innen aus der Wohnung oder dem Haus geworfen zu werden. Der Stress auf der Arbeit, sowie der Druck die Miete oder Rate zu zahlen, wird letztlich zu einer noch größeren Krise führen. Ein vorläufiges Aussetzen der Miet- oder Ratenzahlungen wird nicht ewig andauern und wenn der Damm bricht, dann steigen die menschlichen Kosten der Obdachlosigkeit ins Unermessliche.

Das Jahr 2020 war besonders brutal und rassistisch. Farbige Männer und Frauen wurden überall im Land niedergeschossen oder erstickt durch die „Männer in Blau“ [Polizei]. Breonna Taylor in Kentucky wurde im Bett von durchgedrehten Cops umgebracht, die sich auf einem Jagdausflug befanden. Aufgehetzt von einem „Klansman“ [weißen Rassisten] an der Regierung, der agressiv zu zeigen versucht, wer an der Macht ist und das Sagen hat. Und der dabei die Straßen in Kriegsgebiete verwandelt, indem er nicht-gekennzeichnete Bundesbeamte aus militärischen Spezialeinheiten einsetzt. Und er hat auch den rassistischen Schlägerbanden und Milizen mehr als nur zwischen den Zeilen Rückendeckung gegeben.

Wenn es jemals einen guten Zeitpunkt gab für die Bildung neuer Bewegungen von unten, für Arbeiter*innen und selbstbestimmte Gemeinschaften, dann ist er jetzt. Nun ist es an der Zeit, antirassistische soziale Basisbewegungen hervorzubringen, welche im besten Sinne die direkten und massenhaften Aktionen fortführen. Jetzt ist der Moment gekommen, den kämpferischen Geist der Arbeiter*bewegung wieder aufleben zu lassen.

Wir haben uns zum Ziel gesetzt, eine unabhängige, kämpferische, selbstverwaltete und selbstbestimmte Arbeiter*bewegung zu organisieren und aufzubauen. Eine, die direkt-demokratisch, frei und unbürokratisch ist. Und sich gegen Diskriminierung und Kapitalismus einsetzt, aber für Ökologie. Angesichts der drohenden Gefahr durch den Klimawandel ist es um so nötiger, dass eine kämpferische Arbeiter*bewegung einen gerechten Wandel von fossilen Brennstoffen hin zu einer umweltfreundlicheren Arbeitwelt fordert. Damit einher geht die zunehmende Notwendigkeit, schließlich die Märkte zu ersetzen durch eine Wirtschaft, die von allen selbst verwaltet wird. Denn deren Auslagerung von Kosten und die negativen Folgen sind nicht ökologisch nachhaltig. Wir glauben, dass dieser Wandel letztlich durch einen freiheitlichen Sozialismus verwirklicht werden kann, in dem jede*r eine Stimme in wirtschaftlichen Entscheidungen hat, soweit man von ihnen betroffen ist.

Solch eine Bewegung kann nicht von oben herab eingeführt werden und kann auch keine Chefs haben. Die Bewegung wird nur die Interessen der Arbeiter*innen an der Basis vertreten, da diese sie von unten demokratisch kontrollieren. Um eine solide Grundlage zu entwickeln, muss auch Platz sein für die Einbindung nicht nur der heutigen Lohnabhängigen, sondern auch von all jenen, die es mal gewesen sind oder noch sein werden, aber auch von allen unbezahlt Arbeitenden. Einfach gesagt,: Alle Leute, die in dieser chaotischen Gesellschaft noch machtlos sind, müssen zusammenarbeiten, um eine neue Bewegung aufzubauen. Diese muss in ihren Strukturen bereits jene Gesellschaft widerspiegeln, welche wir errichten wollen: ohne Hierarchie und erfüllt von Demokratie.

Vielleicht findest du, daß die Krumen, welche mehr oder weniger regelmäßig von den Marmortischen fallen gelassen werden, deinen leeren Magen niemals füllen können. Dann sei dir bewusst, dass auch andere Leute dieser Krumen überdrüssig geworden sind und nun stattdessen die ganze Bäckerei fordern. Dann nimm gerne Kontakt zu uns auf, um mehr darüber zu erfahren, wie man am Arbeitsplatz gegen die Chef*in vorgehen kann. Und um mehr über libertären Sozialismus und die Kämpfe der Arbeiter*klasse herauszufinden. Oder einfach nur, um weiter über die Situation zu diskutieren.

JETZT ist es soweit!

Workers Solidarity Alliance
(https://workersolidarity.org)

Quelle: http://ideasandaction.info/2020/09/wsa-2020-labor-day-statement-time/

Übersetzung: Anarchosyndikalistisches Netzwerk – ASN Köln

Creative Commons: BY-NC

Mehr Infos zur Workers’ Solidarity Alliance:
https://anarchosyndikalismus.blackblogs.org/?s=WSA