Wien: Werkarbeiter*innen organisieren Bummelstreik

Das Wiener Arbeiter*innen-Syndikat (WAS) dokumentiert die interessanten Streikerfahrungen von selbstorganisierten Werkarbeiter*innen, über die ein Mitglied der kürzlich gegründeten Anarchosyndikalistischen Jugend Wien berichtet:

Werkverträge sind äußerst perfide Instrumente, insbesondere bei großen Unternehmen: die Angestellten arbeiten beinahe ohne rechtliche Absicherung, ohne Kündigungsschutz, ohne Krankenstands- und Urlaubstagen und natürlich auch ohne Einzahlungen in Pensionskassen, etc. und das meistens auch noch zu einem niedrigen Gehalt, dass gerade noch gesetzlich erlaubt ist. Durch die gesellschaftliche Verhältnisse sind trotzdem vor allem Studierende und Leute die aus unterschiedlichen Gründen keine Teilzeit-/ Vollzeitbeschäftigung haben können oder wollen dazu gezwungen auch solche Verträge anzunehmen.

Der Arbeitsalltag ist mühsam, übrig bleibt vor allem die „Scheißhackn“ [1] und dabei ist es noch nichteinmal sicher wie viele Stunden man eigentlich im Monat arbeiten kann und vor allem wie viel Geld man damit auch noch bekommt. Jeder Minute Arbeitszeit wird wie blöde hinterhergehechelt – weil man eben muss.

Eine kleine Gruppe von Lohnabhängigen wollte mit diesen Bedingungen nicht weiter leben. Vor allem weil das Arbeitsklima sich auch verschärfte und niemand mehr mit uns reden wollte – aber Hauptsache wir dürfen die Arbeit machen, die sonst niemand machen will. Es stellte sich aber heraus, dass gerade das unsere größte Stärke war.

Wir beschlossen für ein Monat nur mehr das Allerallernötigste zu machen und nicht jede mühsame Aufgabe anzunehmen, die uns gegeben wurde. Wir beabsichtigten von Anfang an nur eine kurze Dauer weil wir einen Monat (mit angemessener Vorbereitung) Gehaltsverlust hinnehmen konnten. Unser Ziel war es zum einen, dass uns sicherere Arbeitszeiten zugesagt wurden und zum anderen auch – wenn möglich – mehr Gehalt.

Schon nach der ersten Woche beschwerten sich die ersten Vorgesetzten darüber, dass sie so viel Arbeit hatten die wir sonst übernehmen und deshalb ihre eigentlichen Arbeiten nicht erledigen können. Wir reagierten zunächst gar nicht auf die Nachrichten und gingen davon aus, dass die Botschaft schon rüberkommt. Nach zwei Wochen wurde begonnen uns privat zu schreiben und versucht uns dazu zu drängen wieder Arbeiten zu übernehmen.

Wir kommunizierten gemeinsam, dass wir so nicht arbeiten wollten und besser Bedingungen wie eine fixere Arbeitszuteilung und etwas mehr Gehalt wollten. Die ersten Nachrichten wurden ignoriert doch nach drei Wochen boten uns die Vorgesetzten zunächst eine neue Kommunikation bei der Aufgabenverteilung an und einen Tag später schon eine Gehaltserhöhung von zwei Euro – immerhin eine Erhöhung um ca. 15-18% (!) abhängig davon wie lange man schon im Betrieb war.

Wir hatten es also geschafft – trotz unserer prekären Arbeitsverhältnisse – unsere Forderungen durchzusetzen und begannen die Arbeit wieder aufzunehmen. In den nächsten Wochen verbesserte sich unsere Lage – wir bekamen sowohl das höhere Gehalt als auch fixere Arbeiten die es möglich machten unsere eigene Lage besser zu planen. Doch – auch wenn wir es noch nicht wussten – die Wirkungen dieses kleinen Streiks waren noch größer als gedacht:

Einige Monate später gab es in anderen Abteilungen Diskussionen bezüglich Leuten die ebenfalls auf Werkvertragsbasis angestellt waren. Die Chefitäten hatten Angst vor rechtlichen Konsequenzen da angeblich einige Bedingungen nicht eingehalten wurden. Dies drang zu unserer Abteilung durch und als wir dies mitbekamen sprachen wir das Thema mit unseren Vorgesetzten nur kurz an (ohne eigentliche direkte Bitte unser Dienstverhältnis auch zu überdenken).

Anscheinend immer noch eingeschüchtert von unserem kleinen Streik kam schon kurz darauf das Angebot unsere Werkverträge aufzulösen und uns in ein direktes Dienstverhältnis zu übernehmen. Sie hatten gemerkt, dass wir uns nicht alles gefallen lassen und Angst davor, dass wir entweder wieder Streiken oder auch überlegen rechtliche Schritte wegen kleineren Verstößen gegen den Vertrag zu überprüfen.

Wir sprachen uns untereinander wegen dem Angebot ab und nach einigen kleineren Diskussionen haben wir mittlerweile alle „normale“ Dienstverträge. Für uns bedeutete das zum einen eine Lohnerhöhung um nochmals 6-9% (wieder abhängig davon wie lange man schon im Betrieb ist) sowie fixe Arbeitszeiten, 13. und 14. Gehalt , einen dreimonatigen Kündigungsschutz und Krankenstands- sowie Urlaubstage da wir mit den neuen Verträgen unter den Branchen-KV fallen. Für uns also nochmals eine enorme Verbesserung und das nur weil die Chefitäten Angst hatten wegen einem kleinen Streik vor fast einem halben Jahr.

Natürlich bedarf es trotz solcher Erfolge einer kritischen Evaluation: Wir hatten diesen gesamten Kampf als kleine Abteilung geführt ohne überhaupt Kontakt mit ähnlich Angestellten in anderen Abteilungen aufzunehmen. Zudem fehlte eine Form der gewerkschaftlichen Organisierung. Dies hätte uns mehr Sicherheit geben können, falls es zu Repressionen gekommen wäre (und es wäre rechtlich ein leichtes gewesen uns innerhalb eines Monats auszutauschen). Wir hatten gewiss auch ein wenig Glück aber trotzdem ist es für uns ein starkes Zeichen dafür was schon alles erreicht werden kann, wenn man sich einfach zusammen tut und nicht alles auf sich sitzen lässt.

Unsere Schwierigkeiten: prekäres Arbeitsverhältnis (arbeitsrechtlich leicht austauschbar), keinerlei Möglichkeit auf Lohnersatz, schlechte Möglichkeiten zur persönlichen Absprache untereinander da wir meistens zu unterschiedlichen Zeiten und an unterschiedlichen Tagen arbeiten.

Unsere Vorteile: relativ hohes Spezialwissen (Einschulung neuer Arbeitskräfte hätte einiges an Zeit gebraucht), wir machen Arbeit die zwar essentiell aber Zeitaufwendig und langweilig ist (und die deshalb niemand sonst übernehmen will – aber gemacht werden muss), vor allem: wir haben gemeinsam agiert!

Solange es den Kapitalismus gibt wird es solche Ausbeutungsverhältnisse geben. Doch wenn wir uns heute schon zusammen tun können wir auch dagegen ankämpfen. Für bessere Verhältnisse heute und für eine neue Gesellschaft morgen!“

Quelle:
https://wiensyndikat.wordpress.com/2020/07/31/erfahrungen-eines-erfolgreichen-prekaeren-arbeitskampfes/

Anmerkung:
1) (Schwer-)Arbeit, Maloche, siehe https://de.wiktionary.org/wiki/hackeln