Die Regierung hat nun endlich ihre demokratische Maske fallengelassen. Durch Anordnung der Verwaltung in Moskau und dutzenden anderer Regionen wurde den Bewohner*innen aus Anlass der Coronavirus-Epidemie verboten die Wohnungen zu verlassen, in denen sie leben. Dadurch wurde sozusagen ein totalitäres Regime errichtet, denn allein in der Hauptstadt, der größten europäischen Metropole, sind etwa 15 Millionen Einwohner*innen praktisch Gefangene.
Die Unglücklichen oder Draufgänger*innen, welche das tagelange Eingesperrtsein in den vier Wänden ihrer kleinen Zellen nicht ertragen können, werden mit hohen Bußgeldern oder Gefängnis bestraft. In einigen Städten wurden bereits besondere Passierscheine ausgestellt, um das Haus zu verlassen. In Moskau wird eine ähnliche „Neuerung“ noch diskutiert. Es werden Methoden der totalen Überwachung eingeführt, die uns an die dunkelsten Seiten von Orwell [„1984“] oder an dystopischen Cyberpunk erinnern.
Das öffentliche Gesundheitssystem in Russland wurde, wie in vielen anderen Ländern, fast vollständig zerschlagen oder größtenteils geschwächt. Die Politiker*innen, welche die Interessen der Reichen verteidigen, sind dabei verantwortlich für die „Verbesserungen“ der letzten Jahrzehnte.
Denn dadurch ist es fast auf der ganzen Welt schon zum Problem geworden, nichtmal hunderttausende, sondern sogar nur einige Hundert ernsthaft erkrankte Leute zu behandeln. Eben aus diesem Grund ist wegen der Epidemie eine Massenpanik entstanden, die in den Medien und bei den herrschenden Kreisen verschiedener Länder zu erkennen ist.
Sie versuchen nun diese Probleme mit kurzfristigen Notmaßnahmen zu lösen, wie das vorübergehende Umstrukturieren der bestehenden Krankenhäuser und Reha-Kliniken, die zeitweise Lohnerhöhung für Ärzt*innen oder befristete Investitionen in das Gesundheitswesen. Dabei wird jedoch der allgemeine gesellschafltiche und wirtschaftliche Kurs beibehalten, um die Interessen der größten Kapitalist*innen und obersten Beamt*innen zu wahren.
Im heutigen Russland wird die Bevölkerung mit Hausarrest und Arbeitsplatzverlust bestraft, wobei ihre Fähigkeit ein normales Leben zu führen eingeschränkt wird, da sie der neoliberalen „Optimierung“ des Gesundheitssystems nicht genug entgegengesetzt hatte: Abbau der Betten, Verdrängung von Fachkräften aus der Pflege, Schließung von Notfallabteilungen, Verkauf von Forschungseinrichtungen, Auslagerung medizischer Dienste an die Privatwirtschaft (statt sie zu unterstützen), Zerschlagung des medizinischen und professionellen Untersuchungsystems, usw.
Die totalitären Regierungsmaßnahmen haben jetzt der sozio-ökonomischen Lage der Arbeiter*schaft einen schweren Schlag versetzt. Die Schließung vieler Unternehmen, Firmen und Dienstleistungen entzieht tausenden Arbeiter*innen ihre Lebensgrundlage. In einigen Fällen wurden ihnen materielle Entschädigung versprochen, aber nicht genug, um davon leben zu können. Zahlreiche Firmeneigentümer*innen weigern sich, wegen der Schließung weiterhin die Löhne zu zahlen.
Die verletzlichsten Teile der Arbeiter*schaft sind daher in einer besonders schwierigen Lage, darunter die „informell“, ohne Vertrag oder in der „Schattenwirtschaft“ Arbeitenden. Sie werden überhaupt nichts bekommen! Im Gegensatz dazu wird jenen, die zum Weiterarbeiten gezwungen werden (Transport, Gesundheit, Einzelhandel usw.), meist sogar die grundlegende Schutzausstattung gegen Infektionen vorenthalten.
Die Behörden haben die materielle Last der Krisensituation komplett auf den Schultern der Arbeiter*innen abgeladen. Die herrschende Oligarchie will die Reichen jenoch nicht dafür zahlen lassen. Stattdessen werden auf die kleinen Ersparnisse der Leute, die sie jahrelang zusammengekratzt haben, jetzt neue Steuern erhoben.
In dieser schwierigen Zeit protestiert die russische Sektion der Internationalen Arbeiter*innen-Assoziaion gegen das totalitäre Vorgehen der Regierung und zeigt sich vollkommen solidarisch mit allen Arbeiter*innen. Dabei ist ihr bewusst, dass unter den Bedingungen eines allgemein verhängten Hausarrests die M
öglichkeiten eines massiven und offenen Widerstandes kaum vorhanden sind. Aber jede Person, die nun gezwungen ist zuhause zu sitzen oder weiterzuarbeiten, kann mehr als andere die eigenen Fähigkeiten bewerten und ihre Handlungsmöglichkeiten abschätzen.
Natürlich ist diese Epidemie nun mal eine Seuche und sogar falls ihre Gefährlichkeit hysterisch übertrieben sein sollte, ist es trotzdem nötig die grundlegenden Regeln der individuellen Hygiene einzuhalten. Daher ist es umso nötiger, von der Regierung und den Chefs weitere Maßnahmen zur Gewährleistung angemessener Arbeitssicherheit einzufordern. Diese muss noch heute allen zur Verfügung gestellt werden, die weiterarbeiten müssen. Und ihnen muss die komplette Schutzausrüstung auf Kosten der Unternehmen oder des Staates geliefert werden, so wie auch die übliche Gesundheitsversorgung weitergehen muss, usw. Die Kollektive der Arbeiter*innen sollten daher diese Forderungen aufstellen und mit Nachdruck verfolgen, bis hin zur Organisierung von Streiks, wo noch gearbeitet wird.
Allen, die nun zur Erwerbslosigkeit gezwungen sind, ob vorübergehend oder dauerhaft, sollte weiterhin ihr Lohn ausgezahlt werden. Diese Forderung muss an erster Stelle stehen! Wenn das entsprechende Unternehmen oder die Einrichtung pleitegeht, muss der Staat diese Zahlungen übernehmen, denn er hat schließlich diesen Arbeitsstopp verhängt. Er könnte sich das Geld ja von den Milliardär*innen zurückholen!
Den Menschen müssen auch angemessene Möglichkeiten zum Einkauf in den Geschäften oder das Spazierengehen ermöglicht werden, was ja auch die Abwehrkräfte stärkt. Für dejenigen, welche vom Staat unter Hausarrest gestellt wurden, sind neuen Formen von Protest und Widerstand ohne Bezug zum Arbeitsplatz möglich. Beispielsweise der Mietstreik und ein Boykott von Nebenkostenzahlung, nach Vorbild des Mieter*innen-Streiks, den die spanischen Anarcho-Sydikalist*innen am 01. April begonnen haben!
Und natürlich bleibt die gegenseitige Hilfe „von unten“ das Wichtigste in Bezug auf die erzwungene soziale Isolation,, durch welche die Regierung versucht unsere sozialen Verbindungen zu kappen: Hilfe beim Einkauf für alle, die nicht nach draußengehen können, aber auch Unterstützung von Kranken und Menschen in Quarantäne, sowie die Solidarität miteinander.
Die Arbeiter*innen sind daher aufgerufen, nicht den Kontakt zueinander zu verlieren, nicht dem verordneten gesellschaftlichen Ausschluss zu unterliegen und sich stattdessen zu organisieren. Zunächst in sozialen Netzwerken, dann am Wohnort und wenn möglich am Arbeitsplatz, um ihre Menschen- und Arbeitsrechte, sowie ihre Interessen zu verteidigen.
Unsere Rechte sind nicht in Quarantäne! Nicht klagen, sondern kämpfen!
Konföderation revolutionärer Anarcho-Syndikalist*innen (KRAS-IAA)
[Конфедерация революционных анархо-синдикалистов]
Quelle:
https://iwa-ait.org/content/statement-kras-iwa-regarding-introduction-house-arrest
Übersetzung:
Anarcho-Syndikalistisches Netzwerk – ASN Köln, https://asnkoeln.wordpress.com (CC:BY-NC)