Pfleger*innen: Kanonenfutter für den Coronavirus?

Die britische Basisgewerkschaft Solidarity Federation Manchester (SF-IAA) hat folgenden Beitrag veröffentlicht:

Es ist allen klar, die jemals im System der sozialen Pflege gearbeitet haben oder damit in Kontakt gekommen ist, wie sehr die Arbeitgeber*innen versuchen ihre Belegschaften auszubeuten und wie schlecht sie diese behandeln.

Die Pflege-Arbeiter*innen [in Manchester] haben seit langem das Gefühl, dass sie sowohl von den örtlichen Behörden, wie auch von der Regierung als minderwertig angsehen werden. Bis vor kurzem wurden sie von Lokal- oder Landespolitiker*innen noch als „niedrigqualifiziert“ bezeichnet. In der überregionalen Presse hatte das für Schlagzeilen gesorgt und sich in das öffentliche Bewußtsein eingeschrieben. Während der aktuellen Coronavirus-Krise wurde dies offensichtlich, da nun die Arbeitgeber*innen ihre völlige Missachtung der Sicherheit ihres Personals zeigen und ebenso derjenigen, die ihre Dienste in Anspruch nehmen.

Kopf mit Mundschutz

Pfeger*innen zeigen jedoch, dass sie eine unerschütterliche Verpflichtung und Leidenschaft für diese Menschen haben, wenn sie weiterhin trotz aller Risiken jeden Tag zur Arbeit fahren. Einige Kolleg*innen gehen sogar so weit, dass am Arbeitsplatz einziehen und ihre Familien zuhause zurücklassen, um ihre Liebsten vor dem Virus zu schützen.

Gleichzeitig behandeln die Arbeitgeber*innen ihre Mitarbeiter*innen weiterhin so schlecht wie möglich, um ihre Gewinnanteile zu sichern. Viele Pflege-Arbeiter*innen haben beispielsweise keinen Anspruch auf Krankengeld und bekommen nur den gesetzlichen Mindestsatz (Statutory Sick Pay – SSP), was auch während der aktuellen Krise weiterhin gilt.

Wie einige Arbeiter*innen berichten, wurden sie gezwungen arbeiten zu gehen und Schichten zu übernehmen, obwohl sie zuhause in Quarantäne waren, weil sie entweder selbst erkrankt waren oder ein krankes bzw. schutzbedürftiges Familienmitglied haben. Einige von ihnen leben in Haushalten mit hoch risikobelasteten Familienmitgliedern und wollen sich selbst isolieren, um diese zu schützen. Aber ihnen wurde gesagt, dass sie dann nichtmal mehr den SSP-Anspruch haben und keinen Lohn mehr bekommen, weil sie ja nicht selbst erkrankt sind.

Das Pflegepersonal wurde ebenfalls unter Druck gesetzt, um für die gesamte Zeit der Selbstisolation eine Krankschreibung vorzulegen, obwohl die Regierung angewiesen hat, dass man nur eine Quarantänemeldung abgeben muss. Diese kann online beantragt werden, um die Hausarzt*praxen zu entlasten. Und abgesehen davon, reicht es, dass man die Abwesenheit von sieben Tagen oder weniger selbst nachweist.

Die Regierung macht in Bezug auf Arbeitslöhne bei gesundheitlichen Problemen unterschiedliche Angaben, was zu einer totale Verwirrung geführt hat. Es ist unklar, ob Arbeiter*innen nun für die 12 Wochen in Quarantäne einen Anspruch auf Beurlaubung haben, wie es das Regierungsprogramm eigentlich vorsieht, wobei sie mindestens 80% ihres üblichen Lohnes bekämen.

Einige Arbeiter*innen berichten aber, dass ihre Vorgesetzten sie einfach beurlaubt haben, aber anderen wurde gesagt, dass sie nur 12 Wochen lang einen SSP-Anspruch hätten. Wiederum andere sagen, ihnen wurde zunächst Beurlaubung versprochen, aber die Arbeitgeber*innen würden sich bisher nicht daran halten.

Für alle Unterbezahlten, die nur den Mindestlohn bekommen und meist keine Ersparnisse haben, ist die Aussicht auf SSP nicht gerade verlockend, denn dabei erhalten sie etwa 107 Euro/W. für höchstens 12 Wochen. Aber niemand weiss, ob die Sache bis dahin vorbei ist, wobei viele überhaupt garkeinen Anspruch auf SSP haben.

Den Pflege-Arbeiter*innen mangelt es auch an Persönlicher Schutzausstattung (PSA), wie Handschuhe, Masken und Kittel, sowie Handdesinfektions- und Reinigungsmittel. Das ist ein landesweiter Skandal und setzt die Pflegenden ebenso wie die Gepflegten unverschuldet einem hohen Risiko von Übertragung und Verbreitung des Coronavirus aus.

Die Lage ist derart verzweifelt geworden, dass einige Unternehmen bereits versucht haben, PSA von örtlichen Nagelstudios und Tierarzt*praxen zu bekommen. Denn 80% der Versorger*innen sagen, dass sie aktuell keine angemessene Schutzausrüstung zur Verfügung haben. In einem besorgniserregenden Bericht der Dienstleistungsgewerkschaft GMB in Schottland wurde der Fall eines Pflegeheimes vorgestellt, wo die Schutzausrüstung in einem Schrank verschlossen wurde, damit das Personal nicht selbst darauf zugreifen könne.

Den Pfleger*innen wurden unterschiedliche Anweisungen gegeben (wenn überhaupt), wann und wie sie die Persönliche Schutzausstattung benutzen sollen. Einige Arbeitgeber*innen sagen, die PSA werde nur dann zur Verfügung gestellt, wenn Patien*innen Symptome des Coronavirus zeigen würden. Sie sollen also weiterhin körperliche Pflege leisten, obwohl es bekannt ist, dass das Virus höchst ansteckend ist und sich leicht bzw. schnell überträgt. Daher kann es schon zu spät sein, wenn die Firma sich entscheidet erst bei Symptomen die PSA auszugeben.

Der Mangel an CoV-19-Tests bedeutet für das Pflegepersonal, dass sie sich für 14 Tage in Isolation begeben müssen, ohne zu wissen ob sie infiziert sind. Daraus folgt eine Unsicherheit für sie und ihre Mitbewohner*innen, was es dem Management leicht macht, sie zurück zur Arbeit zu drängen, auch wenn sie nicht wissen, ob sie die Krankheit haben oder hatten.

Die Menschen müssen also die Kosten dafür tragen, dass es an Vorräten mangelt und die Pflegeunternehmen die Vorgaben vernachlässigen. Besonders tragisch zeigt dies die Tatsache, dass im ganzen Land die Todesrate weiter steigt und sich das Virus immernoch ausbreitet. In Glasgow sind in einem Pflegeheim 16 Bewohner*innen gestorben nachdem sich das Coronavirus verbreitet hat. Und ein Altenheim in Liverpool hat es ebenfalls hart getroffen, da 9 Bewohner*innen verstorben sind und nach Angaben des Managements zwei Drittel des Personals krankgeschrieben sind. Landesweit haben bereits mehrere Pflege-Arbeiter*innen wegen des Virus leider ihr Leben verloren.

In der aktuellen Situation hat das Pflegepersonal das Gefühl, nur „Kanonenfutter“ zu sein. Dieser Ausdruck kommt daher, dass in bewaffneten Konflikten die Soldat*innen meist aus armen Arbeiter*familien stammen, die als austauschbar gelten und daher an die Front geschickt werden. Dieser Vergleich bezieht sich also darauf, dass die Arbeiter*klasse auch hier als entbehrlich angesehen wird. Auf ihr Wohlergehen legen die Chefs und Politiker*innen keinen großen Wert, solange die Arbeiten erledigt, die Dienstleistungen angeboten und die Gewinne erzielt werden.

Viel zu lange wurde das Pflegepersonal als schlecht ausgebildet angesehen und muss zu den am niedrigsten bezahlten Arbeiter*innen im ganzen Land gerechnet werden. Doch seit kurzem erkennen wir ihre Pflichterfüllung und ihren Mut angesichts des Coronavirus noch im Dienst zu sein. Dieses Personal ist überwiegend weiblich und migrantisch geprägt, was sehr viel mit der Ausbeutung zu tun hat, der es ausgesetzt ist. Die Pfleger*innen haben gezeigt, wie lebenswichtig sie sind, während die Chefs und Autoritätspersonen wiedereinmal beweisen, dass sie bloß unfähig und feige sind. Die Vorstandsvorsitzenden der Pflegeunternehmen, die Direktor*innen und leitenden Manager*innen arbeiten jetzt in sicherem Abstand von zuhause aus, aber erwarten vom Personal, dass es sich großen Risiken aussetzt.

Sobald wir hoffentlich – oder möglicherweise – diese Krise durchstanden haben, wird es offensichtlich dringend nötig sein, den Pflegebereich komplett umzugestalten. Damit er den Menschen dienen kann, die versorgt werden müssen, und jenen die dort arbeiten, anstatt nur den Profitinteressen zu dienen. So wie das System jetzt ist, kann es nicht weitergehen!

Wer sich am Arbeitsplatz organisieren und die Bedingungen dort verbessern möchte, kann gerne Kontakt zur Solidarity Federation aufnehmen, damit wir dabei helfen können.

Quelle:
https://iwa-ait.org/content/careworkers-cannon-fodder-coronavirus

Übersetzung: Anarcho-Syndikalistisches Netzwerk – ASN Köln,
https://asnkoeln.wordpress.com (CC: BY-NC)